Das Menschliche Mysterium - Mieke Mosmuller (2011)
25-06-2014 Buchbesprechung von Hannie SalehWarum können wir unseren Leib, unseren lebendigen inwendigen Leib nicht so erkennen, wie wir die Dinge um uns herum erkennen? Die medizinische Wissenschaft hat in Anatomie, Physiologie und Molekularbiologie beeindruckend viele Tatsachen ans Licht gebracht. Doch daraus wird kein lebendiger Mensch; es bleiben Teilaspekte, erforscht am toten Körper und im Labor. Wir kennen von uns selbst nur die Außenseite – zum Teil, denn wir können nicht einmal unmittelbar unser Gesicht sehen –, und haben nur ein vages Gefühl von dem, was in uns ist. Eigentlich leben wir in den Sinnen, also an der Oberfläche, auf die uns umgebende Welt gerichtet.
Was ist dann dieser lebendige Mensch? Was ist Leben? Diese Fragen rühren an die tiefsten Geheimnisse der Menschheit und ihres Entwicklungsganges. Das Leben, das Lebendige, ist etwas Geheimnisvolles; etwas, vor dem tief in uns eine Angst lebt, eine weniger bewusste, tiefer verborgene Angst als die Angst vor dem Tod. Mieke Mosmuller gibt als Bild für beide Ängste das Grimmsche Märchen „Von jemandem, der auszog, das Fürchten zu lernen“. Danach gibt sie die Meditationssätze, die als Rätsel den aufeinanderfolgenden Kulturepochen aufgegeben sind, wie von Rudolf Steiner beschrieben. Das Rätsel unserer Epoche betrifft das Lebendige, das sich in der Materie abdrückt, auch etwas, was Schauer und Furcht aufruft. Im Meditationsprozess kann diese Angst vor dem Leben zu einer Ehrfurcht vor dem Lebendigen auswachsen, und diese Ehrfurcht wächst in dem Maße, wie die Einsicht zunimmt.
Das Forschen auf diesem Gebiet, unser Suchen nach Erkenntnis, ist nur auf der Basis des zum reinen Denken führenden Weges möglich. Dieser Weg wird auf eine kraftvolle, lebendige Weise beschrieben, die sich durch das ganze Buch hindurchzieht. Wir suchen das Lebendige in Mensch und Natur, aber dafür ist das natürliche (gewöhnliche, alltägliche) Denken nicht ausreichend. Es gibt auch eine Unternatur, in uns, um uns – das Gebiet der elektromagnetischen Kräfte –, die unser Denken unbemerkt beeinflusst und wodurch wir nicht in die ätherische Welt, sondern in die Bilder der in Verfall geratenen Ätherkräfte hineingeraten. Das wahrhaft menschliche Gebiet ist dasjenige des Übernatürlichen – das reine Denken und Wollen.
Aber wie können wir nun erkennend den lebendigen Leib betreten? Ita Wegman hat auf der Grundlage dessen, was Rudolf Steiner schilderte, die besondere Einweihung von Brunetto Latini durch die Göttin Natura beschrieben. Während er sich in einem besonderen Zustand befand, erhielt er den Auftrag, in sein eigenes Wesen hineinzugehen: durch die Seelenkräfte, das Temperament, die Sinne hindurch; und dann von den Elementen und Planetensphären aus zum Welten-All. Mieke Mosmuller beschreibt nun, wie dieser Weg in der heutigen Zeit gegangen werden kann. Wenn die Seelenkräfte zum reinen Denken, Wollen und Fühlen entwickelt worden sind und man sich in dem leibfreien Denken aufrecht erhalten kann, wird es möglich, über die Sinne die schöpferischen Kräfte im Leib zu erleben, vom Lautsinn abwärts bis zum Tastsinn.
Wir dürfen den Leib nicht ohne Weiteres betreten. Wir sind aus ihm vertrieben, es ist das verlorene Paradies.
Am Wochenende des 7. und 8. März 2014 gab Mieke Mosmuller hierzu noch eine Ergänzung. Rudolf Steiner hat in Vorträgen in Den Haag (GA 145) Bilder des makrokosmischen Menschen vor dem Sündenfall gezeichnet. Der Mensch war der Kosmos, das Paradies, doch er verband sich mit Luzifer, wodurch er selbst die Ursache der Vertreibung wurde. Der Baum des Lebens verdorrte, und der Mensch schrumpfte zur heutigen Gestalt zusammen. Die höheren hierarchischen Wesen vertrieben den Menschen aus dem Paradies – durch Tore, die zu den Sinnesorganen wurden. Dies aber macht es möglich, dass ein Mensch heute, wenn er sich zu einem Standpunkt „jenseits von Ort und Zeit“ hin entwickeln kann, dieses verlorene Paradies durch die Tore der Sinne von neuem zu betreten vermag.
Auf diese Reise nimmt Mieke Mosmuller uns mit. Welten entfalten sich. Schöpferkräfte können miterlebt werden. Vom Lautsinn bis zum Geruchssinn begegnen wir dem Wesen der Sinne, dem Wesenhaften der uns umgebenden Welt, mit der wir verbunden sind. Beim Gleichgewichtssinn, dem „obersten“ der Leibessinne, begegnen wir dann von neuem dem Leib, als einer dichten Struktur, die die geistige Welt abschirmt. Dann müssen wir die Kräfte des Raumes betreten: Vorne-Hinten, Oben-Unten, Links-Rechts. So werden wir zu der Möglichkeit geführt, die Gestalt des Menschen zu erleben, und dahinter die geistigen Kräfte des Tierkreises. Aber auch das Vergängliche dieser Gestalt, den unabwendbaren Tod. Wenn der Geistesforscher der dann auftretenden luziferischen Verführung widerstehen kann, wird ihm das Mysterium Magnum offenbart, die Ur-Dreigliederung der menschlichen Gestalt; die drei sind eins, das Eine ist drei.
Die Beschreibung des Bewegungssinnes und des Lebenssinnes führt uns noch tiefer in den Leib hinein, zu den Organ- und Lebensprozessen. Eine noch weitergehende Läuterung der Seele ist hier zusammen mit dem leibfreien Denken notwendig. Der Tastsinn öffnet dann den Weg nach außen – über die Elemente zu den Planetenprozessen, im Durchleben der Wirkung der sieben Metalle. Schließlich werden die Kräfte der Fixsterne als Diener des großen Sonnengeistes angedeutet, die Kategorien in unserem Denken.
Und so, mitlebend mit dieser Reise durch Mensch und Kosmos, erwacht ein Gefühl zum Leben: ein Gefühl der allergrößten Ehrfurcht vor diesem erhabenen Mysterium, dem Menschen.
Wie dies alles in ein Buch von 228 Seiten passt, ist ein Wunder. Es deutet an, dass hohe Kräfte durch diese Sprache sprechen. Dass Mieke Mosmuller diese Inhalte für Jeden, der sich nach wahrer Erkenntnis des Menschen sehnt, beschrieben hat, darf uns mit der größten Dankbarkeit erfüllen.