Königsweg
13-03-2015 Buchbesprechung von Holger NiederhausenIm Oktober 2014 erschien das neueste Werk von Mieke Mosmuller: „Königsweg“. Es ist ihr 33. Buch und zugleich ihr 14. Roman. In deutscher Sprache sind mit diesem Werk nun sieben Romane erschienen. All diese Romane ordnen sich zu einem wachsenden Gesamtkunstwerk, doch geht „Königsweg“ unter ihnen spirituell am weitesten und tiefsten. Es geht in Mieke Mosmullers Romanen um die Frage lebendiger Geist-Erkenntnis in der heutigen Zeit. Im Mittelpunkt steht immer wieder der Arzt Johannes, der mit allem, was er hat, nach dieser Geist-Erkenntnis und damit nach der lebendigen Anthroposophie strebt und der für die ihn umgebenden Freunde und Suchenden Brücken schlägt und Wege zu ebnen versucht. Im Mittelpunkt von „Königsweg“ steht jedoch ein anderer Mensch: Philippe. Dieser stille, unscheinbare Mann hat sich schon seit einigen Jahren mit dem Kreis um Johannes verbunden. Er trat auch in den Romanen „Himmlische Rose“ (2010) und „Johannes. Dialoge über die Einweihung“ (2012) bereits auf. Schon dort wurde sehr deutlich, dass mit ihm etwas sehr Großes verbunden ist. In „Königsweg“ wird dieses nun offenbar.
Das Buch besteht eigentlich aus zwei Romanen in einem. Der erste Teil erschien als „Königsweg“ auf niederländisch bereits 2005. Dort beschreibt zunächst Philippes Mutter ihre ganze Geschichte, die dann auch zum Leben Philippes wird und sich schließlich als diejenigen Erlebnisse erweist, die die Mutter in ihrem Tagebuch festgehalten hatte, das Philippe nun nach ihrem Tod in den Händen hält. Und dann schreitet die Handlung weiter voran. Auch Philippe ist zunächst Arzt, aber den Durchbruch zu einem geistigen Verständnis des Leibes kann er in der Medizin nicht finden. Als er schließlich auf das Werk Rudolf Steiners stößt, erlebt er darin eine großartige Bestätigung seines eigenen Suchens und wird in seinem meditativen Streben immer weiter in das reine, lebendige Denken hineingeführt. Schließlich, Philippe hat schon sieben Jahre eine Zeitschrift geleitet, verbinden sich die Lebenswege von Johannes und Philippe, die sich während des Studiums nur kurz gekreuzt hatten. Und nun beginnt eine großartige Zusammenarbeit, in der Johannes Philippe ermutigt, sein geistiges Wesen voll zur Entfaltung zu bringen. Gegenüber dem buddhistischen Meister – einem engen Freund von Johannes, der diesem sein „Institut“ in den Bergen überlassen hat, um dort ganz für die Spiritualisierung des Denkens wirken zu können – formuliert Philippe einmal den Unterschied zwischen sich selbst und Johannes in folgenden Worten:
‚Johannes ist ein Vorbild des kräftigen übersinnlichen Selbstbewusstseins, des Vermögens, zu einer geistigen Anschauung der ätherischen Welt zu kommen. Mit diesem Bewusstsein befindet es sich ganz außerhalb des physischen Leibes, und er gebraucht den eigenen Ätherleib als Spiegel seiner übersinnlichen Erfahrungen. Dadurch kann er seine Erfahrungen lesen, in eine für das physische Bewusstsein verständliche Sprache umsetzen. Dennoch bleibt sein übersinnliches Schauen auf ein Erleben dessen beschränkt, was in der ätherischen Welt wahrnehmbar ist. Wie Sie wissen, hat er sich im denkenden Anschauen, auch der Natur und des Kosmos, geschult. Nun ist bei mir der ganze Verlauf von Anfang an mehr innerlich gewesen. Ich bin zu früh aus der Bilderwelt entflohen – wie das bei westlichen Kindern meist der Fall ist. Johannes hat diese Qualität bis weit in die Pubertät hinein bewahrt, ich habe sie schon vor der Schulzeit verlassen. Meine innerliche Entwicklung kann diesen Faden daher nicht zu fassen kriegen, ich bin von dem reinen Denken der Philosophie ausgegangen, nicht von dem Denken in der sinnlichen Wahrnehmung oder in der Bildmeditation. Die Folge ist, dass ich mich selbst in einem großartigen kosmisch-geistigen Zusammenhang erlebe, aber ohne die Übersetzung in Bilder – die notwendig ist, um innerliches Wissen übertragen zu können. Meine Einweihung erstreckt sich auf ein Erleben im astralen Kosmos und im Geist-Kosmos, aber die Übersetzung in Bilder fehlt noch.’ (S. 259f).
In diesem astralen und geistigen Kosmos findet Philippe jedoch immer mehr den Königsweg, nach dem er sein Leben lang gestrebt hat und der seine große Sehnsucht war:
‚Die Sehnsucht nach dem Ergründen des Tempels Gottes, des physischen Leibes. Das Finden jener Erkenntnis, nach der ein Arzt strebt, der Erkenntnis des Leibes, wie er in geistigem Sinne ist. Das Finden des Makrokosmos im Mikrokosmos, das Finden des Zusammenhanges der Leibesorgane mit dem Kosmos – des Sternenhimmels mit dem Leib. Das Gehen dieses Königsweges ist eine gemeinsame Aufgabe für uns, Johannes. Nicht für dich allein oder für mich allein, einzeln auf unserem Meditationsstuhl. Unsere Schicksalsverbundenheit macht es möglich, diese Erkenntnis gemeinsam zu gewinnen ... und festzuhalten, übertragbar zu machen.’ (S. 324).
Das, was hier nur angedeutet ist, entfaltet sich in Mieke Mosmullers Roman immer wieder zu tiefen Hinweisen auf die Wirklichkeit der geistigen Welt und zu einer Schilderung erschütternd weitgehender Erfahrungen, die auf dem Weg der fortschreitenden inneren Entwicklung der seelisch-geistigen Kräfte liegen. Immer wieder zeigt sich in den Gesprächen zwischen Philippe und Johannes auch die Unterschiedlichkeit der beiden inneren Wege, die sie gegangen sind und in denen sie sich nun aber zugleich so großartig zu ergänzen beginnen. Am Ende des ersten Teiles beginnt dann wirklich die geistige Welt, sich Philippe machtvoll zu offenbaren:
‚Ich erlebe eine unmittelbar bevorstehende große Umkehrung, Johannes! [...] Was ich bis jetzt an innerlicher Aktivität aufgebracht habe, um mit aller in mir lebenden Willenskraft den Geist zu finden, ist nun stark genug, um den von außen kommenden Geist auch wirklich zu empfangen. Damit kehrt sich in der Meditation die Richtung um, ich werde durch den Geist bewegt, gedacht, in meinem Gefühlsleben beginnt empfindsames Licht zu weben, und mein Wille wird dem persönlichen Willen entrückt. Dies alles ist mir nicht fremd, ja es ist sogar sehr vertraut. Was zuvor als Momente erlebbar war, scheint nun eine Kontinuität zu werden.’ (S. 302f).
So endet der erste Teil mit einer Art kraftvollem Ausblick...
Der zweite Teil, „Philippe“ (der auch auf niederländisch dieses Jahr erschien), spielt dann fast zehn Jahre später. Längst hat Philippe sich ganz mit Johannes und dem Institut in den Bergen verbunden, in dem die Freunde versuchen, suchenden Menschen Wege in die geistige Welt zu weisen. Philippe versucht in seinem meditativen Leben zugleich, die Erscheinungen der modernen Zeit zu durchdringen und die Ansätze für eine positive Entwicklung darin zu erkennen: Popmusik, Computerspiele, schwarzer Humor, Drogen... In tiefen Gesprächen zwischen Philippe, Johannes, dem Meister und dem italienischen Arzt Beato (einer Hauptperson aus „Inferno“ und „Himmlische Rose“) offenbart sich ein großartiges gegenseitiges Erkennen ihrer jeweiligen Aufgabe und ihres Wesens. Vor allem aber ist es wiederholt Beato, der Philippe dringend bittet, endlich sein ganzes Wesen zur Erscheinung zu bringen. Philippe ist ein zutiefst zurückhaltender Mensch und muss stark ringen, bis er diesen Entschluss schließlich wahrmacht.
Die Vorträge, die Philippe daraufhin während der Sommerwochen des Instituts hält, sind ein ungeheurer Höhepunkt des ganzen Buches. In ihnen kann etwas wie Esoterische Stunden für die heutige Zeit empfunden werden. In wachsender Tiefe und immer weitgehender beschreibt Philippe die Erfahrungen, die Menschen machen können, die wirklich nach dem Geist suchen. Immer mehr spricht er nicht über die geistige Welt, sondern aus einem unmittelbar gegenwärtigen Erleben dieser geistigen Welt heraus. Er beginnt mit einer Beschreibung der Gegenmächte. Im ersten Vortrag heißt es unter anderem:
‚Man hat als Mensch eine äußere Gestalt, man hat eine innere Gestalt. Diese äußere Gestalt stimmt noch am meisten mit dem Willen der guten geistigen Mächte überein, obwohl man wie gesagt auch darin den Abdruck des Kampfes sehen kann, in den die menschliche Seele verwickelt ist. Aber wenn man sich aus dieser Gestalt löst und beginnt, ein inneres Leben zu führen, das nicht leiblich ist, dann fühlt man, wie man viel mehr auf diese innere Gestalt angewiesen ist, die auch viel mehr der Schauplatz des Kampfes um die menschliche Seele ist. Bewusster und bewusster nimmt man daran teil, und man fühlt, wie um das eigene Denken gekämpft wird.’ (S. 512f).
Philippe spricht also über die Gegenmächte und Hindernisse einer Spiritualisierung des Denkens. Er spricht über das reine Ich-Erleben, das Wesen der Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens und ihre allmähliche Trennung. Er beschreibt den ahrimanischen Doppelgänger und dasjenige Denken, das gegen die Widersacher geschützt ist; die notwendige moralische Entwicklung. Er spricht über das Erwachen des Willenswesens, die Vereinigung des Denkens mit dem Willen, nachdem sich zuvor der Wille mit dem Denken vereint hatte. Immer mehr wird dies zu einer Beschreibung eines Erkenntniskultus, mit dem der Mensch erkennend bis in die Natur, in die physische Materie hinein vordringt. Schließlich steigert sich dies bis zu einer Schilderung der Begegnung mit dem Hüter der Schwelle, in der es unter anderem heißt: und das Leben der Seele jenseits der Schwelle, das Erleben der makrokosmischen, Geistgestalt des Menschen und der mit diesem verbundenen geistigen Hierarchien...
Diese Vorträge, die den Höhepunkt des ganzen Romans bilden, bestätigen, dass diese geistige Welt eine absolute Realität ist, die vom Menschen gefunden werden kann, wenn er alles einsetzt, was er hat, um in eine innere Entwicklung zu kommen. Es ist lebendige, reale Anthroposophie, die in diesem Werk gefunden werden kann. Es schließt mit einem letzten Gespräch zwischen Johannes und Philippe und einem tiefen Ausblick auf das auch von Rudolf Steiner gegebene Johannes-Geheimnis.