100 Jahre Waldorfschule? Ansprache bei der Eröffnung des Schuljahres für die Mitarbeiter des Geert Groote College Amsterdam – 26. August 2019

30-12-2022 Artikel von Michiel Suurmond

‚Andere bedeutende Persönlichkeiten hinterlassen, wenn sie sterben, ihre Werke. Rudolf Steiner hinterlässt Menschen, die er angeregt hat, in Freiheit und aus sich heraus zu schaffen’. 

‚Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit ist heute nur ein Buch, vielleicht aber kommt die Zeit, in der nicht wichtig sein wird, was in diesem Buch steht, sondern in der recht viele Menschen in sich den Inhalt dieses Buches verwirklicht haben werden.’ 

Diese Zitate kommen aus Erziehungsaufgaben und Menschheitsgeschichte, eine Sammlung von Aufsätzen von Walter Johannes Stein. Walter Johannes Stein (1891 – 1957) war von seinem neunundzwanzigsten bis zu seinem zweiundvierzigsten Lebensjahr Lehrer für Geschichte und Literatur an der ersten Waldorfschule in Stuttgart. Weil ich mich in den vergangenen Jahren einigermaßen in sein Leben und Werk vertieft habe,1 wurde ich vor den Sommerferien gefragt, ob ich anlässlich von ‚100 Jahre Waldorf’, bei der Eröffnung des neuen Schuljahres, etwas über ihn und das erste Lehrerkollegium erzählen wollte. Ich hatte Lust dazu und im Laufe des Sommers wurde dann der Kern dessen, was ich dann zu sagen hätte, stets deutlicher: eine Sache, die Rudolf Steiner in mindestens zwei Begegnungen mit W.J. Stein zur Sprache gebracht hat. Damit werde ich meine Ansprache gleich beschließen. Tatsächlich haben wir mit den Zitaten schon damit begonnen und in der Zwischenzeit, in der halben Stunde, die meine Erzählung ungefähr dauert, werde ich so ab und zu darauf anspielen. 

‚100 Jahre Waldorf ’, ich kann nicht verbergen, dass die Festivitäten, die uns diesen Herbst bevorstehen, gemischte Gefühle bei mir erzeugen. Fünf Jahre Unterstufe haben mich als Schüler vieles erfahren lassen, wofür ich dankbar bin, Beispiele lassen sich einfach finden. So schien hinter der geraden und der krummen Linie, die wir in der ersten Klasse auf der Tafel zeichnen mussten, eine ganze Welt verborgen zu sein. Wir hörten Geschichten über Michael, Luzifer und den Drachen. Später lebten wir mit den Israeliten aus dem Alten Testament mit und den Göttern aus der nordischen und griechischen Mythologie. Wir sangen Lieder im Kanon, wiegten auf den Wellen der Musik miteinander mit und schienen aufgenommen zu werden durch den Gesang, den wir selber hervorbrachten. Wir bildeten und sprachen Satzzeichen aus und erlebten so von innen, welche Gebärden die Sprache machen konnte und wie beweglich sie war. Wir zeichneten eine Tulpe und es war als ob man in die Pflanze untertauchte. 

Nach der fünften Klasse verließ ich die Waldorfschule und kam ich in die fünfte Klasse einer regulären ökumenischen Unterstufe. Der Kontrast was groß. Obwohl das soziale und pädagogische Klima in der neuen Schule gesünder war und einer der Lehrer dort meine Rettung bedeutete (ihm bin ich auch dankbar), machte der Unterricht einen zerstückelten Eindruck auf mich: ein bisschen Rechnen hier, ein Stückchen Sprache da. Das sporadische Singen war erbärmlich und die Kombination aus Gebäude und Einrichtung schien willkürlich, nicht getragen von einer Idee. Die Methoden, die Schulbücher, wirkten befremdlich. Das sind Worte eines Erwachsenen, aber an das Gefühl, dass ich als Elfjähriger hatte, kann ich mich sehr gut erinnern. ‚Meulenhoff Educatief’ und ‚Malmberg’, was hatten die Namen von Verlagen mit einem aufwachsenden Kind zu tun? Der Unterricht war angemessen, mir angemessen, aber verglichen mit dem Unterricht, den ich davor gekannt hatte, war es, in einem Wort gesagt, armselig. 

So ungefähr vor zwölf Jahren kam ich hierher, um auf dem Geert Groote College zu arbeiten. Es war eine Amsterdamer Waldorfschule. Es gab eine Gruppe Lehrer, die vor Jahrzehnten einen Putsch begangen hatten gegen die Generation vor ihnen, die Schule trug ihre Signatur. Man bekam den Eindruck, dass das GGCA einen eigenen Platz einnahm in Amsterdam, namentlich auf kulturellem Gebiete ein Faktor war in dieser Stadt, und dieser Eindruck wurde verstärkt dadurch sozusagen, dass der eine Alt-Schüler Direktor wurde des Kulturzentrums De Balie und die andere eine berühmte Schauspielerin. Dieselbe Sphäre hing letztes Schuljahr um den Chor, mit der Aufführung auf dem Gelände der ‚Westergasfabriek’. Auch die gerade gestifteten ‚Vrienden van het GGCA’ sind Ausläufer dieser jüngsten Vergangenheit. 

Nun, in 2019, wächst die Schule und es gibt da verhältnismäßig viel neue Mitarbeiter. Junge Erwachsene, die gerade abgeschlossen haben oder fast fertig sind mit ihrer Ausbildung kommen herein, um sich bei einem Praktikum oder Job zu orientieren und finden einen Ort, wo sie enthusiastisch davon werden, wo sie etwas für die Schüler bedeuten wollen. Es wäre gut möglich, dass dies zu tun hat mit der Konstellation der Menschen, die hier arbeiten, mit uns also, mit dem, was und wer wir sind. Oder genauer: mit dem, was und wer wir potenziell sind. 

Und damit kommen wir – ‚gemischte Gefühle’ – zu der Tragik von ‚100 Jahre Waldorf ’. Es ist eine Tragik, die fundamentaler ist als ‚Die Waldorfschule ist die Waldorfschule nicht mehr’ oder ‚Die Waldorfschule ist ein Fossil, eine Ansammlung erstarrter Formen aus der Vergangenheit’, beides Aussprüche, die, abhängig von der Perspektive, die man einnimmt, Wahrheit beinhalten. Die Tragik ist, wie gesagt, fundamentaler und sie ist nicht von heute oder gestern. 

Im Grunde von Rudolf Steiners Werk, von der enormen Aktivität, die er entfaltete, von der Einführung der Geisteswissenschaft und von dem Beginn der Waldorfschule, liegt ein bestimmter Schritt. Das ist ein Schritt, den Steiner selbst gesetzt hat, den er öffentlich gemacht hat und wovon er hoffte, dass andere, dazu in die Gelegenheit gebracht durch seine Publikationen, ihn auch setzen würden. Man findet diesen Schritt nicht explizit in Die Philosophie der Freiheit beschrieben, aber wer als Leser realisiert, dass das Buch ihn betrifft (den Leser), wer den Gedankengang mitvollzieht und die drin beschriebenen Prozesse innerlich probiert auszuführen und zu prüfen, der wird diesen Schritt früher oder später setzen. In Wahrheit und Wissenschaft, die Überarbeitung von Steiners Doktorarbeit und Vorstudie seiner Philosophie der Freiheit, findet man diesen Schritt wohl ausdrücklich formuliert, in einem Satz, und auch in den erkenntnistheoretischen Büchern über Goethes Weltanschauung, ungefähr in derselben Zeit geschrieben, kann man ihn an verschiedenen Stellen wiedererkennen. Wieder und wieder verweist Steiner in späteren Büchern und Vorträgen auf diesen Schritt. In dem Kurs, den er heute vor genau hundert Jahren für die ankommenden Lehrer gab, Allgemeine Menschenkunde, kann man ihn auch finden, im dritten Vortrag. 

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Titelblatt von Rudolf Steiners Dissertation
(anthroweb.info)


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Titelblatt von Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit
(Wikipedia)

 

Als dann die Waldorfschule drei Jahre alt ist und der Kurs Allgemeine Menschenkunde drei Jahre hinter im liegt, hält Rudolf Steiner in Stuttgart aufs Neue pädagogische Vorträge, eine Reihe, die unter dem Namen Pädagogischer Jugendkurs bekannt geworden ist. In diesen Vorträgen lässt er klar sehen, dass nicht geschieht, nicht getan wird, nicht gewollt wird, was er erhofft hatte. Wir können uns vorstelle: die Essenz seines erkenntnistheoretischen Werks ist Ende neunzehntes Jahrhundert an der akademischen Welt und der allgemeingebildeten Öffentlichkeit vorbeigegangen; die theosophische Gesellschaft, in der er um den Jahrhundertwechsel Mitglieder angetroffen hatte, für die er esoterisch sprechen konnte, gab ebenso wenig ausreichende Resonanz; zum Schluss sind da die Anthroposophen in den 10er und 20er Jahren, aber auch sie tun nicht, wozu sie die Möglichkeit bekommen haben. Es war, so Steiner, ‚oft zum Verzweifeln’.2 Das sind Worte, die wir ernst nehmen müssen. Tun wir das, dann kommen wir, denke ich, nicht darum herum, dass sie unvermindert aktuell sind. Aber das bedeutet nicht, dass sie per Definition für die Ewigkeit gelten. Es hängt von uns ab. Wir können sie uns zu Herzen nehmen, Veränderung in diesen Zustand bringen. Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir das tun, wenn wir danach streben, den Schritt noch immer zu setzen, dass dann die Waldorfschule, hundert Jahre nach der Stiftung, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute in jedem von uns inauguriert werden kann. 

Was ist der Aufruf, den Steiner im Pädagogischen Jugendkurs wiederholt? Er sagt, dass der Wille in das Denken einschlagen muss. Das ‚reine Denken’ – es besteht ein ‚reines Denken’, zu welchem wir uns durch Die Philosophie der Freiheit hinarbeiten können – wird dann ‚im Handumdrehen, sagen wir im Denkumdrehen’, etwas anderes, nämlich ein reines Wollen, pure Aktivität.3 Was man dann findet, ist die eigene Individualität. Und diese, sagt Steiner, die Individualität des Lehrers, müsste vor allem wirken in der Schule, viel mehr als alles ‚ausgedachte Programmatische’.4 Die Wichtigkeit hiervon ist einfach zu begreifen. Wenn Lehrer die eigene Individualität erfassen, wird es für Schüler leichter, dies als Erwachsene auch zu tun. Es ist nicht nur relevant für das Verhältnis zu sich selbst. Es geht auch um das Verhältnis zu der übrigen Wirklichkeit. In seiner Doktorarbeit hat Walter Johannes Stein hier eine Passage darüber geschrieben, die es wert ist zitiert zu werden. Aus gehend von dem Verhältnis zur Natur schreibt er: ‚Wenn man es bis dahin gebracht hat, [die Bedingungen, die er kurz hiervor benannt hat, lasse ich außer Betracht, MS] und seinen Blick nun nicht auf die Natur, sondern auf sich selbst richtet, dann erlebt man, wie man Natur als geistiges Wesen in sich selbst findet. Das eigene Wesen bildet dann die Pforte, durch welche man ins innerste Wesen der Natur schreitet. Weil dies das Grunderlebnis ist, auf welchem sich die Weltanschauung Rudolf Steiners aufbaut, deshalb hat er diese die „Anthroposophie” genannt. Sie ist die Wissenschaft vom wahren Wesen des Menschen, als Organ der Welterkenntnis.5 

* 

Walter Johannes Stein wird 1891 geboren. Sein Geburtsort Wien ist die Hauptstadt der Donaumonarchie, der Doppelmonarchie, des königlichen und kaiserlichen Österreich-Ungarn. Die Stadt seiner Jugend ist das Wien des Fin-de-siècle: Gustav Klimt und die Sezession, Sigmund Freud und die Psychoanalyse, Arnold Schönberg und die atonale Musik, Adolf Loos und die funktionalistische Architektur. Es ist der Ort, wo die ‚Völkerfrage’ als politische Frage aufkommt, mit ihrer spezielle Manifestationen wie Antisemitismus und Zionismus. Ein bürgerliches Bekenntnis zu Humanität und Harmonie, Spannungen und Frustrationen unter der Oberfläche, Brennpunkt von Entwicklungen, die den Lauf des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmen sollen - so ungefähr ist das Bild in der Geschichtsschreibung. Der Satiriker Karl Kraus nennt seine Stadt die ‚Versuchsstation des Weltuntergangs’.6 Während der kleine Walter in den Windeln liegt, legt Rudolf Steiner hier die letzte Hand an Wahrheit und Wissenschaft und schließt seine Vorbereitung zu Die Philosophie der Freiheit ab.7 

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Ringstraße mit der Universität von Wien, zwischen 1890 und
1900. Im Hintergrund die Votivkirche (Wikipedia) 

Walters Vater hat einen ungarischen Hintergrund. Er ist Jurist und Anwalt und spricht ein formelles Deutsch, tendierend zur Schriftsprache. Er ist weitreichend gebildet. So hat er medizinische Fachzeitschriften abonniert, die von seinem Sohn, als dieser das weiterführende Schulalter erreicht hat, angesehen werden sollten. Die Mutter ist jüdisch. Im Wiener Dialekt, den sie spricht, erzählt sie ihrem Sohn Märchen und nordische und griechische Mythen. Der Junge bekommt Geigen- und Klavierunterricht. 

Es gibt zwei Jugenderinnerungen von W.J. Stein, die er ausführlich beschreibt und die ich hier erwähnen will. Die erste ist gleich seine früheste Erinnerung. Er ist zwei, drei Jahre alt, als er in einer bewaldeten Umgebung außerhalb Wiens auf einer Straße steht. Die Frau, die ihn begleitet, ein Kindermädchen oder eine Erzieherin, hat sich hinter einem Baum versteckt, wahrscheinlich um zu sehen, wie selbständig der Bube inzwischen ist und um ihn zu stimulieren die Straße zu überqueren. Der kleine Junge steht etwas unsicher auf seinen Beinen und realisiert plötzlich ‚dass ich ein „ich” bin’. Er muss sein Körperchen zur anderen Straßenseite bewegen und fühlt etwas Angst. Gleichzeitig ist er erfreut, weil die Frau hinter dem Baum nicht zu realisieren scheint, dass sie sich nicht vor ihm verstecken kann. Schließlich erlebt er sein ‚ich’ nicht ausschließlich in seinem Leib, nicht einmal unbedingt in der Nähe davon, sondern in der ganzen Umgebung. Die Straße, der Baum, die Frau sind aufgenommen in seine Selbsterfahrung, werden umfasst durch die Erfahrung von sich selbst. ‚[Die Frau] und der Baum lagen innerhalb meiner Selbst-Erfahrung, und obwohl der kleine Körper dort unten etwas wie Angst verspürte, alleingelassen zu sein, frohlockte gleichzeitig das wahre Selbst in dieser Angst und in dem Gefühl „Ich bin ein Ich”, welches die Angst begleitete. Von nun an stand diese Doppelnatur der Ich-Erfahrung vor meiner Seele’.8 Als Erwachsener sollte er in der Anthroposophie eine umfassende Erklärung für diese Erfahrung finden. 

Er ist ungefähr zehn Jahre alt, als er, in diesem Moment etwas kränklich, einige Zeit an der italienischen Riviera verbringt, um wieder zu Kräften zu kommen. Er begegnet einem deutsch-amerikanischen Mädchen, das ungefähr fünf Jahre älter ist als er und weicht daraufhin nicht von ihrer Seite. Überall folgt er ihr hin und begleitet er sie. Beim Abschied gibt sie ihm eine farbige Schachtel mit Süßigkeiten, ein Kleinod, das er in Wien noch lange Zeit in Ehren halten soll. Es war seine erste und vollkommen kindliche Liebe, die ihm darüber hinaus ein intensives Erlebnis der Natur schenkte. Er beschreibt, wie er in der Nähe des Mädchens für die Natur erwachte. ‚So unbedeutend diese Begegnung auch aussehen mag, sie führte bei mir jenes Aufwacherlebnis herbei, durch welches sich der Mensch als eine lebendige Seele und die Natur als ein geisterfülltes Wesen erkennen lernt’.9 Als Erwachsener, nach seiner Begegnung mit Rudolf Steiner, wird er sich in zunehmendem Maße bewusst, dass man nur zum Innersten der Natur vordringen kann, wenn man sich mit den Geheimnissen der menschlichen Seele einlässt und einem bestimmten Prozedere folgend, ihrer Veredelung nachstrebt, ihre Erziehung in die Hand nimmt. Je mehr die Liebe in einem wächst, desto mehr wird die Natur ihre Geheimnisse entschleiern. ‚Nicht der Intellekt, sondern die Liebe dringt ein in die kosmischen Geheimnisse’.10 

Obwohl beide Eltern protestantisch sind, geht das Kind auf das ‚Schottengymnasium’, eine weiterführende Schule, wo der Unterricht in den Händen von Benediktinermönchen liegt. Der Unterricht gilt als hervorragend und Stein erfreut sich an dem Fach Geschichte, an der Art, wie es den Lehrern gelingt, ein lebendiges Bild der Menschen, Landschaften, Burgen, usw. aus der Vergangenheit aufzurufen. Mathematik ist nicht sein bestes Fach und damit bleibt er sitzen. Aber dann wächst sein Interesse für das Fach, sosehr, dass er siebzehnjährig vor Schulbeginn einer Stunde Vorlesung an der Universität folgt. Der Professor ruft ihn manchmal zu sich nach vorne, um ein mathematisches Problem zu lösen. Auch Physik gewinnt sein Interesse. Er ist interessiert an der Frage, wie es sein kann, dass eine Glasplatte, wenn man am Rand bestimmte Formen ausschneidet, also Materie davon wegnimmt, an Tragekraft zunimmt. Philosophische Probleme beschäftigen ihn auch, z.B. das aristotelische Problem von ‚Form’ und ‚Stoff’. Ein Löwe frisst Lämmer, besteht nach einiger Zeit fast ganz aus ‚Lamm’, aber bleibt doch ein Löwe. Verwandten Problemen wird Stein später in der Durchdringung des christlichen Mysteriums der Transsubstantiation, in Rudolf Steiners Erkenntnistheorie und in der Pädagogik, den Rätseln um das Aufwachsende Menschenwesen, begegnen. 

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Klasse des Schottengymnasiums. Vorderste Reihe vom
Betrachter aus links: wahrscheinlich Walter Stein.
(www.schotten.wien, Datum und Fotograph unbekannt) 

Nach dem Abitur geht er auf Reisen. Gemäß dem Prinzip seines Vaters: Reisen ist das beste Erziehungsmittel, ist es gut, wenn er selbständig etwas gesehen hat von der Welt, bevor er das Studentenleben betritt. Die Reise führt durch deutsche Städte und bringt ihn unter anderem nach Stuttgart. Er läuft herum und ist sich der Geschichte bewusst, die sich auf diesem Boden abgespielt hat, so wie der Gang von Napoleons Artillerie und der Anlage (Arabischer Herkunft) der Rosengärten entlang der Hügel. Auf der Treppe zu einem Café-Restaurant bleibt er stehen. Er bekommt das starke Gefühl, dass hier seine Reise endet. Er kehrt um, begibt sich zum Bahnhof und nimmt den erstbesten Zug zurück nach Wien. Einige Jahre später wird Emil Molt, Inhaber einer Zigarettenfabrik, das Gebäude erwerben, um dort die Waldorfschule zu gründen. 

Der Militärdienst ruft und Stein wird Reserveoffizier bei der Artillerie. Es sind freiwillige Monate und er ist gerne Soldat. Als das Jahr vorbei ist, schreibt er sich an der Universität zu Wien ein. Es ist Oktober 1912 und Stein studiert Mathematik, Physik und Philosophie. Er ist also Student, als er zu Hause Die Geheimwissenschaft im Umriss auf dem Schreibtisch seiner Mutter liegen sieht, ein Buch von Rudolf Steiner aus dem Jahr 1910, worin eine umfangreiche Skizze der Entwicklung der Erde, der Evolution des Menschen und seine unterschiedlichen Kulturzeitalter gegeben wird. Stein beginnt zu lesen und stößt auf eine Passage über ‚Wärme’, die im Widerspruch zu sein scheint, mit dem, was er in der Schule und an der Universität gelernt hat. Im Buch wird Wärme als eine Qualität an sich beschrieben, während die moderne Physik Wärme ausschließlich auffasst in Begriffen der Bewegung von Teilchen in einem Gas, einer Flüssigkeit oder einem festen Stoff. ‚Dieser Mann’, sagt Stein zu seiner Mutter, das Buch auf den Tisch werfend, ‚muss die ganze Entwicklung der modernen Physik verschlafen haben.’11 Er schaut doch aufs Neue in das Werk und landet bei den Zeilen, worin der Autor dem Leser versichert, nichts in dem Buch vorzubringen, das nicht mit der aktuellen wissenschaftlichen Forschung übereinstimmt. Das Darstellen dieser Übereinstimmung würde jedoch viele Bücher zu jenem Vorliegenden erfordern. Walter Stein beschließt: entweder diese Darlegungen sind wahr, dann muss ich sie mir erarbeiten, oder sie sind unwahr, dann muss ich sie mit aller Kraft bekämpfen. Ein Jahr lang studiert er alles, was er an Büchern und Vorträgen von Steiner in die Hände kriegen kann, sie innerlich prüfend auf Gewissenhaftigkeit und eventuelle moralische oder wissenschaftliche Unzulänglichkeiten. Es kennzeichnet den Studenten Stein: kritischer Sinn, Wahrheitsliebe, ein bohrender Drang zum Erkennen und ein unvoreingenommener Kampfgeist, die Bereitschaft, das Abenteuer zu wagen, die Herausforderung anzunehmen. Im Laufe des Jahres stellt er fest, dass Steiners Werk nicht ‚über’ die Wirklichkeit geht, sondern dass es die Wirklichkeit enthält, dass die Wirklichkeit zu finden ist in dem Bewusstsein, das aus diesem Werk spricht. Er schlussfolgert: ‚Wenn`s Phantasie ist, so hat diese Phantasie die Welt erschaffen.’12 

* 

Die Gelegenheit, den Autor der Geheimwissenschaft zu treffen, ergibt sich, als Rudolf Steiner im Januar 1913 nach Wien kommt, um zwei öffentliche Vorträge zu halten. W.J. Stein geht am Ende auf den Redner zu und erklärt ihm sein Schuler werden zu wollen. Ungefähr ein Jahr später wird das Gespräch fortgeführt (zwischendurch gab es noch eine Begegnung in München), als Steiner aufs Neue nach Wien kommt, hauptsächlich um für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft vorzutragen. Aus den Gesprächen in Wien entsteht die Idee einer Doktorarbeit. 

Dann bricht der Erste Weltkrieg aus, die Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Aus Pflichtbewusstsein und einem Gefühl von Schicksalsverbundenheit mit dem Vaterland geht Stein an die Waffen und verreist in den Osten, nach Galizien, gegenwärtig eine Region in Polen und der Ukraine, um an vorderster Front in schwere Kämpfe mit den Russen verwickelt zu werden. Das bedeutet achtzehn Monate marschieren, durch Regen und Schnee, durch Wälder und Morast. Kein Dach über dem Kopf, keine Hoffnung, dass es jemals anders wird. Die Schrecken der Kampfhandlungen. Dennoch schöne Monate: ‚Trotz Sumpffieber, Cholera, Ruhr, Typhus und Krieg. Anderthalb Jahre Natur! Würde ich ohne den Krieg jemals die Geduld gehabt haben, in der Erde zu liegen und zuzusehen, wie vor mir auf Augenhöhe die Pflanzen wachsen? Oder zuzusehen, wie die Hasen im Sand ihre Löcher graben?’13 Die Natur ist Gegenstand der Meditation. In Lebensgefahr und der Nähe des Todes – er begräbt Kameraden und verliert seinen Bruder an den Krieg – ist er empfänglich für spirituelle Erfahrungen. Und er arbeitet, er arbeitet hart an seiner Dissertation, im Kopf und auf Papier. Stapel Papier beschreibt er, darunter Briefe an Rudolf Steiner. 

Nach Beendigung des aktiven Dienstes bekommt Stein zweimal die Möglichkeit die Konzept-Doktorarbeit mit Steiner durchzusprechen. Das erste Mal geschieht das in Berlin, das zweite Mal in Dornach. Im Frühling 1918 ist die Arbeit nahezu fertig, es muss nur noch ein Promotor gefunden werden. Es geht dabei darum einen Professor zu finden, der das Thema annimmt, als ob es von ihm selbst käme. Stein hofft den Wiener Professor Adolf Stöhr dazu bewegen zu können und begibt sich an die Universität. Im Treppenhaus kommt er dem Professor entgegen. Was will Herr Stein? Ein Thema für eine Dissertation. Keine Zeit jetzt. Gerade auf dem Weg zum Friseur. Aber der befindet sich um die Ecke, wenn Stein also ein Stückchen mitlaufen kann, kann er das Thema unterwegs vorstellen. Nichts leichter als das, die Frage ist nur: Wird Herr Professor, wenn das Thema schon ausgearbeitet ist, bereit sein, das Thema als das Seine anzuerkennen? ‚Schreiben Sie, was Sie wollen, wenn nur kein solcher Unsinn herauskommt, wie ich ihn heute Morgen wieder lesen musste. Worüber wollen Sie denn schreiben?’,Ich möchte die Naturidee und die Erkenntnistheorie von Goethe und Rudolf Steiner vergleichen. Ich möchte zeigen, dass das menschliche Bewusstsein nur eine besondere Art von Bewusstsein ist und dass es noch andere Bewusstseinsformen gibt, zu denen wir uns entwickeln können. Ich will die möglichen Formen des Bewusstseins klassifizieren und untersuchen, in welcher Beziehung sie zu dem stehen, was uns die Wissenschaft über die wirkliche Welt lehrt.’14 Das Thema wird angenommen und Stein besteht die dazugehörigen mündlichen Prüfungen glänzend. Die Doktorarbeit selber kulminiert in einer Beschreibung – in einem gebräuchlichen erkenntnistheoretischen Idiom – des Bewusstseins der Drei Hierarchien, die Himmlischen Chöre der Engel bis zu den Seraphim. Sie werden nicht namentlich genannt, aber im letzten Kapitel wird dreimal eine vorstellbare Bewusstseinsform von jeweils einem vorstellbaren Wesen beschrieben. 

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‚Philosophenstiege’ der Universität von Wien.
Es ist gut möglich, dass dies das Treppenhaus ist,
wo Stein Adolf Stöhr ansprach.
(Foto: www.wien.info) 

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Adolf Stöhr
(Wikipedia, Datum und Fotograph unbekannt)


In den unsicheren Monaten direkt nach dem Krieg probiert Stein so gut und so schlecht es geht, seinen Lebensunterhalt 

dadurch aufzubringen, Vorträge über die Geisteswissenschaft und ihre Forschungsresultate zu halten. Oft genug ist das Geld verbraucht, wenn er einen Saal gemietet hat, und scheint er nicht einmal im Stande zu sein, Plakate zu bezahlen. Obwohl seine Dissertation abgeschlossen ist, geht seine Forschung weiter. Er fühlt sich einsam und hilflos in dieser Situation und schreibt Steiner einen Brief mit nicht weniger als sechzig Fragen. Es führt zu einem Telefonanruf von Emil Molt. Dieser erzählt ihm, dass Steiner seine Fragen nicht schriftlich beantworten kann, aber dass, wenn er nach Stuttgart kommen kann, um als Zuhörer den Kursen für die angehenden Lehrer der Waldorfschule zu folgen, er Antwort bekommen soll auf alle seine sechzig Fragen. Stein erlebt die Kurse, darunter die Allgemeine Menschenkunde, als einen ‚innerlichen Umschmelzungsprozeß’. 15 Zurückblickend schreibt er: ‚In meinem Leben bedeutete sie jedenfalls einen Wendepunkt. Vor unseren Augen entstand eine Wissenschaft vom Menschen, die unsere höchsten Erwartungen übertraf. Auf wunderbare Weise ließ Rudolf Steiner das Bild des sich entwickelnden Menschenwesens vor uns entstehen.’16 Als Stein nach den Kursen Abschied nehmen will, bittet Steiner ihn zu bleiben, weil am nächsten Tag eine Aushilfe nötig ist. Ob er Geschichte geben will? Aber er ist Philosoph, ausgebildet als Mathematiker und Naturwissenschaftler und weiß nicht einmal, in welchem Jahrhundert Karl der Große geboren ist. ‚Machen Sie den Anfang mit dem, was sie wissen. Stellen Sie den Schülern die Geschichte des Weltkrieges dar, denn da waren Sie doch dabei, nicht wahr?’17 Am nächsten Morgen steht er vor Kindern, die die Tische und Stühle des ehemaligen Café-Restaurants notgedrungen als Schulmobiliar benutzen. Später, als er eine feste Anstellung bekommen hat und Dozent für Geschichte und Literatur geworden ist, bemerkt er, wie wichtig es ist, dass Lehrer die Themen, die sie unterrichten, von Grund an aufbauen, sich frisch zu Eigen machen, so dass der Enthusiasmus der eigenen Initiative ins Klassenzimmer strömt. Er vermutet darüber hinaus, dass Steiner gezielt bestimmte Fächer an bestimmte Lehrer vorschlug. 

Steins Lehrberuf verdanken wir unter anderem das Gralsbuch Weltgeschichte im Lichte des heiligen Gral. Das neunte Jahrhundert (1928), ein unentbehrliches Buch für alle, die in der 11. Klasse Parzival unterrichten, so viele Schätze, wie darin zu finden sind. Des Weiteren gibt es die Anekdote eines Jungen, der ihn in seinen Po trat. Er behielt die Haltung und setzte den Unterricht unerschütterlich fort, als ob nichts geschehen wäre.18 Auch spürte er, wie die pädagogischen Einsichten von Aristoteles in der Waldorfpädagogik weiterentwickelt sind, mit einem wichtigen Unterschied, in Anbetracht der Entwicklung des Menschen durch die Jahrhunderte hindurch. Für Aristoteles, lebend im Altertum, waren Fähigkeiten angeboren. In der modernen Zeit, schreibt Stein in einem seiner Artikel, können sie das auch sein, aber daneben müssen wir die Möglichkeit haben, sie als etwas anzuschauen, das durch den individuellen Mensch erst geschaffen wird. Allgemeine Überzeugung ist heute, dass zu entwickelnde Talente, Fähigkeiten, Charaktereigenschaften zumeist aus der Erblichkeit stammen. Gerade in der Waldorfpädagogik ist hauptsächlich der Weg zu ebnen für dasjenige, was sich als ein ganz individuelles Element mitten in den vererbten Eigenschaften geltend macht. Es kommt darauf an, dass der innerste Wesenskern des Menschen allmählich aus der Persönlichkeit heraustritt. Dann bekommt der Mensch die Möglichkeit, sein wahres Wesen zu finden und aus sich selbst etwas zu machen, was nur er und niemand sonst sein kann.19 Der Komplex vererbter Eigenschaften ist in gewisser Hinsicht ein Hindernis, eine Belastung, die durch die Individualität umgeformt werden muss. ‚Als ein Kämpfer gegen all das Vererbte, das Kind Belastende, steht der Lehrer da, als ein Mitstreiter der Kinderindividualität selbst.’20 

Nach Rudolf Steiners Tod 1925 werden die latenten Spannungen in der Anthroposophischen Gesellschaft manifest. Stein und seine Arbeit an der Schule werden von den Konflikten betroffen und 1932 ist das Maß voll. Er kündigt und geht im Jahr danach nach England, nach London. Ein neues Kapitel in seinem Leben ist damit angebrochen. 

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Die erste Waldorfschule, Stuttgart, rund 1930
(www.parzival-jugendhilfe.de) 
 
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W.J. Stein 1932 (Wikipedia)

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Was ist nun, schließlich, die Sache, die Rudolf Steiner in mindestens zwei Gesprächen mit Walter Johannes Stein angesprochen hat? Um das zu verdeutlichen, will ich erst aus einem niederländischen Buch zitieren, wo sie auch beschrieben steht. Ich lese darum den Schluss vor von Ich mache, was ich will! Freiheitsphilosophie für junge Menschen, ein Buch von 2012 von Mieke Mosmuller, das in erster Linie geschrieben ist für Menschen um die zwanzig, für Schüler in unseren obersten Klassen also, oder für Alt-Schüler, die unsere Schule vor nicht allzu langer Zeit verlassen haben. Mosmuller: ‚Ich möchte die folgende Perspektive geben.Wenn man verwirklicht, was in diesem Buch als Freiheit beschrieben ist, hat man zugleich ein Vermögen zu klarem, objektivem Einsichtsdenken entwickelt. Wenn man älter wird, etwa über die Dreißig hinaus, kann man erreichen, dass dieses Denken etwas wird, was an sich wirklich etwas ist. Es kann ein neues Gebiet werden, das man ebenso bewusst und klar anschauen kann, wie man jetzt mit seinen Sinnen die Welt um sich herum anschaut. Jetzt ist es noch ein flüchtiges Spiegelbild. Aber es kann sich verstetigen und so zu etwas werden, das einem eine neue Lebenssicherheit gibt, nämlich die Sicherheit, dass man noch immer da sein wird, wenn der Leib längst nicht mehr da ist. Das scheint in diesem Moment völlig aus der Luft gegriffen zu sein. Es ist aber auf dieselbe Weise zu beweisen, wie die Freiheit zu beweisen ist: Jeder Mensch muss sich dieses Erleben selbst verschaffen. Man braucht dafür keinen Glauben, man braucht nichts anzunehmen, man muss nur dem Weg weiter folgen. Dann wird das Denken so etwas wie ein Leib, in dem man wohnen kann und der wahrnehmen kann, was ihm verwandt ist. Man findet seinen Ursprung und seine Bestimmung, das α und ώ, das Alpha und Omega seines Daseins, das weit, weit über die Grenzen von Geburt und Tod hinausgeht’.21 

Werden wer man ist... 

Das erste Mal, dass Rudolf Steiner diesen Punkt gegenüber Stein zur Sprache bringt, ist bei einem ihrer ersten Begegnungen in Wien, als Stein zu erkennen gegeben hat, sein Schüler werden zu wollen. Steiner sagt dann: ,Machen Sie`s, wie ich es gemacht habe: Lernen Sie die Fülle der Welt durch Aristoteles, den Erkenntnisakt selbst durch die Philosophie Fichtes kennen.’22 Das ist eine ziemlich kryptische Aufforderung, die in einer anderen Erinnerung von Stein wohl etwas, aber nicht viel ausführlicher beschrieben wird.23 Steiner bezieht sich hier allerdings auf ein Verfahren, dass er selbst ausführlich beschrieben hat, insbesondere in dem Aufsatz ‚Philosophie und Anthroposophie’. Wer dieses Stück liest, das zuvor in Stuttgart als Vortrag gesprochen ist, kann der dort beschriebenen Methode folgen, nicht nur intellektuell, sondern auch aktuell, das bedeutet als Ereignis, als durchlebten Schritt von Philosophie zu Anthroposophie.24 Gegen Ende des Stücks finden wir die folgenden Zeilen: ‚Alle anderen Gedanken sind zunächst nicht Bilder einer vollen Wirklichkeit. Doch indem man im reinen Denken das wahre Ich als Erlebnis erfährt, lernt man kennen, was volle Wirklichkeit ist. Und man kann von diesem Erlebnis weiter vordringen zu anderen Gebieten der wahren Wirklichkeit. Dies versucht die Anthroposophie.’25 

Das zweite Mal, dass der Punkt zur Sprache kommt, ist in Den Haag. Steiner und eine Anzahl seiner Schüler, darunter Stein, halten dort 1922 Vorträge und Stein findet die Gelegenheit einige Fragen zu stellen. Ein Teil des Gesprächs, das daraus hervorgeht verläuft wie folgt: ‚Ich fragte Rudolf Steiner: „Was wird nach Jahrtausenden von Ihrem Werk noch übrig bleiben?” Er antwortete: „Nichts als die Philosophie der Freiheit. Aber in ihr ist alles andere enthalten. Wenn jemand den dort geschilderten Freiheitsakt realisiert, findet er den ganzen Inhalt der Anthroposophie.” Ich sagte: „Als Sie die Philosophie der Freiheit schrieben, waren Ihnen da die Hierarchien, die Sie in Ihrer Geheimwissenschaft und an anderen Orten schildern, schon bewusst?” „Bewusst waren sie”, sagte Rudolf Steiner, „aber die Sprache, die ich damals sprach, ergab noch keine Formulierungsmöglichkeit. Die kam später. Aber durch die Philosophie der Freiheit erhebt sich der Mensch zur Wahrnehmung des Menschen als rein geistigen Wesens. Und obwohl die Philosophie der Freiheit nur dieses schildert, so ist doch wahr, dass der, welcher sich zu dem Freiheiterlebnis durchringt, dann in der Umgebung des geistigen Menschen, den er dann wahrnimmt, die Hierarchen findet. Denn sie sind alle im Menschen, und im geistigen Schauen erscheint, was im Menschen ist, als geistige Umgebung. Daher sind sie nicht formuliert darin, aber sie sind in der Philosophie der Freiheit mit enthalten.”’26 

 

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1 Vergleiche: M. Suurmond, ‚London Calling. Auf den Spuren von Walter Johannes Stein’, Zeitschrift für Lebendiges Denken, Jahrgang 3, Nr. 1, April 2019, 17-26.
2 R. Steiner, Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs (GA 217), 126.
3 Ibid., 148.
4 Ibid., 160.
5 W.J. Stein, Die naturwissenschaftliche Vorstellungsart und die Weltanschauung Goethes, wie sie Rudolf Steiner vertritt, in: Th. Meyer (ed.), W.J. Stein / Rudolf Steiner, Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens (Dornach 1985), 167-274, dort 256. Kursiv von Stein, fett von mir. 6 Zitiert in: R. Monk, Ludwig Wittgenstein. Het heilige moeten (Amsterdam 1996 [1991]), 18. Vergleiche: Meyer, W.J. Stein / Rudolf Steiner, 11. 7 Es ist interessant Rudolf Steiners eigene Worte zu vernehmen über das Wien um 1888. In seiner unvollendet gebliebener Autobiographie Mein Lebensgang schreibt er: ‚Es war das die Zeit, in der sich in dem damaligen Österreich diese Interessen den krisenhaften Erscheinungen zuwenden mussten, die in den öffentlichen Angelegenheiten sich offenbarten. [Es folgen Beispiele aus der Politik und dem kulturellen Leben.] Wenn ich mit meiner Seele in der geistigen Welt lebte, dann hatte ich oft die Empfindung, dass alle diese Zielsetzungen in ein Unfruchtbares auslaufen müssten, weil sie es doch vermieden, an die geistigen Kräfte des Daseins heranzutreten.’ R. Steiner, Mein Lebensgang (GA 28), 138-139.
8 W.J. Stein, ‚Die Lebenserinnerungen aus The Present Age’, in: idem, Der Tod Merlins. Das Bild des Menschen in Mythos und Alchemie (Dornach 1984),16-70, dort 21.
9 Ibid., dort 41.
10 Ibid., dort 42.
11 Ibid., dort 37.
12 ‚Autobiographische Skizzen von Walter Johannes Stein’, in J. Tautz, W.J. Stein. Eine Biographie (Dornach 1989), 261-277, dort 272. Kursiv von Stein.
13 Stein, ‚Lebenserinnerungen’, dort 47-48.
14 Ibid., dort 54-55.
15  Tautz, W.J. Stein, 99.
16  Stein, ‚Lebenserinnerungen’, 64.
17 Ibid.
18 E-Mail von Mieke Mosmuller.
19 W.J. Stein, ‚Erziehung im Altertum und heute’, in: idem, Erziehungsaufgaben und Menschheitsgeschichte (Stuttgart 1980), 27-34, dort 31-32.
20 W.J. Stein, ‚Erziehungskunst als Ausgleich von Polaritäten’, in: Erziehungsaufgaben, 53-58, dort 57.
21 M.Mosmuller, Ich mache, was ich will! Freiheitsphilosophie für junge Menschen (Baarle Nassau 2012), 108-109. Kursiv von Mosmuller.
22 Stein, ‚Lebenserinnerungen’, dort 39.
23 Stein, ‚Autobiographische Skizzen’,dort 272.
24 Vergleiche: M. Mosmuller, Die Anthroposophische Bewegung (Baarle Nassau 2017)
25 R. Steiner, ‘Philosophie und Anthroposophie’, in: idem, Philosophie und Anthroposophie. Gesammelte Aufsätze 1904 – 1923 (GA 35), 66-110, dort 104.
26 W.J. Stein, ‚Das „Haager Gespräch”‘, in: Meyer, W.J. Stein / Rudolf Steiner, 293-300, dort 299.