Der soziale Organismus, die Gleichheit - Vortrag Rotterdam
30-11-2022 Artikel von Mieke MosmullerDas letzte Mal stand, was den sozialen Organismus betrifft, der wirkende Geist an Stelle des gedachten Geistes im Mittelpunkt, das bedeutet das freie Geistesleben. Ich hatte damals ein Zitat von Rudolf Steiner mitgenommen, worin er sagt, dass der Impuls, der für die soziale Dreigliederung da war, nicht wirklich aufgenommen wurde und er sagt dann sehr deutlich: Wir können nicht ohne weiteres mit diesem Impuls so weiter. Worauf es nun erst einmal ankommt ist, dass das freie Geistesleben, das Geistesleben des wirkenden Geistes an Stelle des gedachten Geistes das Licht der Welt erblickt.
Außerdem sagt Rudolf Steiner, etwa zwei Jahre nachdem das Buch Die Kernpunkte der sozialen Frage heraus gekommen ist, ungefähr das Folgende: Wenn ich die soziale Dreigliederung jetzt in der Welt einführen müsste, dann müsste ich das Buch eigentlich neu schreiben. So schnell verändert die Situation sich. Und in unserer Zeit nimmt man das Buch einfach in die Hand und meint, dass es jetzt noch die gleiche Gültigkeit hat wie damals, als es geschrieben wurde. Es wird nicht in diese Zeit verlegt. Das freie Geistesleben hat sich in einem Jahrhundert nicht sehr viel verändert, obwohl die Freiheit als Möglichkeit an sich schon etwas zurückgeblieben ist, der wirkliche Punkt der Freiheit lag am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, und so viele Jahre später, wo wir nun sind, muss man das eine oder andere daran hinzufügen, um diesen Punkt dann aufs Neue doch noch erreichen zu können. Aber an sich ist das freie Geistesleben noch zu erreichen, noch immer durch das intensive Entwickeln des Denkens, wobei der Wille, also das Element in unserem dreigliedrigen Menschenwesen, das handeln will, das aktiv sein will, in das Denken gebracht wird und dass man lernt so zu denken, als ob man geht, könnte man sagen, als ob man ganz in den Gedanken darin ist und diese dann von innen zum Gehen bringt. Auch hat sich das Phänomen der individuellen Begabung - was zum freien Geistesleben gehört - an sich nicht geändert.
Heute wollen wir uns dann beschäftigen mit dem zweiten Glied des sozialen Organismus. In Anbetracht dessen, was ich eben gesagt habe, fühle ich mich jetzt, hundert Jahre später, ziemlich machtlos bezüglich der bestehenden Literatur. Es ist nicht ausreichend, auf die bestehende Literatur zurückzugreifen und diese zu wiederholen. Aber was natürlich trotzdem geht ist, dass wir uns zusammen nochmals intensiv darauf besinnen, was das Mittelgebiet im sozialen Organismus nun genau ist und wie wir als Menschen in unserer Zeit mit Sicherheit Schritte setzen können, um in dieses zweite Glied des sozialen Organismus eine gewisse Klarheit zu bringen. Obwohl diese Dreigliederung dann nicht eingeführt ist, wenn sie im Prinzip begriffen wird, ist sie in gewissem Sinn doch auf der Erde.
Mieke Mosmuller
Wo das Geistesleben das Element der Freiheit ist und das wirtschaftliche Leben das Element der Brüderlichkeit, haben wir im Mittelgebiet das Element der Gleichheit. Dieses sollte sich verkörpern im Gebiet des Rechtslebens und des Staates. Aber der Staat besteht natürlich doch aus Individuen, aus Menschen, die alle miteinander in der Gleichheit versuchen mussten zu leben. Und darüber können wir es dann heute Abend sicher haben, obwohl wir kein neues Rechtssystem bauen können. Das andere ist, dass man sich darauf besinnt, was der Mensch mit dem Rechtsleben zur Verfügung hat und wie das in unserer Zeit wirksam werden sollte.
Wenn man aus den medizinischen Vorträgen von Rudolf Steiner den menschlichen Organismus kennenlernt, dann lernt man den menschlichen Organismus als ein dreigegliedertes Wesen kennen. Das zentrale Nervensystem mit den Sinnen ist der Teil des menschlichen Organismus, der der allerälteste und dadurch am vollkommensten ist. Es sind Organe, die zwar nicht völlig vollkommen sind, sich aber doch in der Nähe der Vollkommenheit befinden. Wir müssen die Anlage hierfür ganz zurückdenken in die Verkörperung des Planeten, den wir als alten Saturn kennen. In uns stammt die Wärme noch immer vom alten Saturn her und in diesem Wärmeelement haben wir auch unsere Gedanken.
Das zweite Glied im menschlichen dreigegliederten Organismus ist das rhythmische System - Atmung und Blutumlauf, Lunge und Herz. Die müssen wir uns vorstellen als angelegt in der Entwicklungsphase der alten Sonne.
Das dritte Glied ist das Gebiet des Stoffwechsels. Dieser fand seine erste Anlage in der Phase des alten Mondes. Man kann fast dasselbe Wort auch im Handel verwenden, Wechsel von Stoffen.
Dann ist das vierte Glied das eigentliche irdische Dasein. Hier bekommen wir die Möglichkeit, um uns zu bewegen, das ist durchaus eine Möglichkeit, die mit unseren Armen und Beinen zu tun hat und das ist eine echte Erdenerrungenschaft.
Rudolf Steiner erläutert nun in medizinisch-gesundheit-lichen Vorträgen, dass eigentlich alle Krankheiten aus bestimmten Probleme im System des Stoffwechsels entstehen. Die Heilung der Probleme findet im rhythmischen System statt. So sagt er, das ist sehr schön, dass die große kosmische Entwicklung den Arzt (Alte Sonne) früher geschickt hat als den Patienten (Alter Mond). Wir haben den Heiler früher empfangen als die Krankheit.
Der Vergleich ist nicht ganz richtig, aber es ist erhellend, wenn man sich den Menschen mit seinem, eigentlich vier-gliedrigen Organismus, aber lasst uns sagen Kopf, Stoffwechsel und dazwischen das rhythmische System, wenn man darin ein Gleichnis sieht zur Dreigliederung des sozialen Organismus. Wenn man sich weiter darin vertieft, dann wird es doch etwas komplizierter, aber als ersten Ausgangspunkt ist das sehr gut, um nebeneinander zu stellen: Haupt, Brust, Bauch - freies Geistesleben, Rechtsleben, Wirtschaftsleben.
In ähnlicher Art kann man sicher auch sagen, dass die Krankheit des sozialen Organismus nie seine Heilung finden kann durch ein Ansetzen bei der Wirtschaft, weil diese eigentlich die Ursache aller Krankheit ist. Man muss deshalb anderswo suchen gehen, und zwar im rhythmische System. Man muss den Rhythmus so beeinflussen können, dass er heilsam wird, auch wie er zum Beispiel seine Impulse aus dem zentralen Nervensystem und den Sinnen empfängt. Das ist eine ganze Kunst.... Wenn man ein wenig Gefühl dafür entwickelt hat, dann fühlt man doch auch, wie die Dreigliederung des sozialen Organismus miterlebt werden muss und wie hier Krankheir und Gesundheit herrschen. Wenn man zur Tierwelt schaut, dann sieht man da zweifellos eine sehr deutliche Ordnung im sozialen Leben. Die Tiere ordnen das soziale Leben aus ihrem Instinkt und tun das gewissermaßen makellos. Das ist für den Menschen nicht immer verständlich, wir haben natürlich andere moralische Prinzipien, aber wenn man davon nicht ausgeht und man schaut echt danach, was in der Tierwelt an Gleichgewichtigkeit lebt, dann sieht man, dass in der Tierwelt ein Rechtssystem nicht nötig ist. Da ist das Rechtssystem mit den Instinkten gegeben und man kann dann auch verstehen, dass in der Menschheitsentwicklung auch eine Phase gewesen ist, in der fernen Vergangenheit, dass ein Rechtssystem nicht nötig war, dass auf eine ganz andere Art die Ordnung gehandhabt wurde und gesorgt wurde für das gleiche Wohlergehen aller, und dass dort ein System von Gesetzen absolut nicht angemessen war.
Ich werde ein Stück Geschichte des Rechtslebens geben. So kennen wir die eindrucksvolle Stelle im Alten Testa-ment, wo Moses die Steintafeln empfängt. Paulus verweist jedoch zu Christus und hat eine sehr spezielle Auffassung des Gesetzes. Aber erst ist es so, dass durch Moses das Gesetz von Gott empfangen wird und was in diesem Gesetz maßgebend wird, daran hat der Mensch sich zu halten. Das Gesetz besteht aus zehn allgemeinen Geboten, und dann kommen noch eine ganze Reihe von Regeln, könnte man sagen, die dann in der jüdischen Praxis festgehalten werden und die ansonsten keine Gültigkeit haben.
Sie stehen an zwei Stellen, im Exodus und im Deuteronomium. Ich habe Exodus genommen
1 Und Gott redete alle diese Worte:
2 Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.
3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist:
5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der HERR, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen,
6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten.
7 Du sollst den Namen des HERRN, deines Gottes, nicht miss-brauchen; denn der HERR wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht.
8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst.
9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun.
10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des HERRN, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt.
11 Denn in sechs Tagen hat der HERR Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der HERR den Sabbattag und heiligte ihn.
12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird.
13 Du sollst nicht töten.
14 Du sollst nicht ehebrechen.
15 Du sollst nicht stehlen.
16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.
17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel, noch alles, was dein Nächster hat.
18 Und alles Volk sah den Donner und die Blitze und den Ton der Posaune und den Berg rauchen. Als sie aber solches sahen, flohen sie und blieben in der Ferne stehen
19 und sprachen zu Mose: Rede du mit uns, wir wollen hören; aber lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben. 20 Mose aber sprach zum Volk: Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, euch zu versuchen, damit ihr‘s vor Augen habt, wie er zu fürchten sei, und ihr nicht sündigt.
21 So stand das Volk von ferne, aber Mose nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war.
22 Und der HERR sprach zu ihm: So sollst du den Israeliten sagen: Ihr habt gesehen, dass ich mit euch vom Himmel geredet habe.
23 Darum sollt ihr euch keine andern Götter neben mir machen, weder silberne noch goldene sollt ihr euch machen.
24 Einen Altar von Erde mache mir, auf dem du dein Brand- opfer und Dankopfer, deine Schafe und Rinder, opferst. An jedem Ort, wo ich meines Namens gedenken lasse, da will ich zu dir kommen und dich segnen.
25 Und wenn du mir einen steinernen Altar machen willst, sollst du ihn nicht von behauenen Steinen bauen; denn wenn du mit deinem Meißel darüberkommst, entweihst du sie.
26 Du sollst auch nicht auf Stufen zu meinem Altar hinaufsteigen, dass nicht deine Blöße aufgedeckt werde vor ihm.
Und so kommt das Gesetz, das Gebot von Gott zum Menschen.
Buddha kommt auf Erden und er bringt mit seiner Lehre von Liebe und Mitleid eine Art Präludium, ein Vorspiel auf das- jenige, was dann in unserer Zeit vielleicht erworben werden könnte, nämlich ein selbstständiges rechtschaffenes Innerliches, das bedeutet, eine völlig eigenständige Gerechtigkeit. Ich zitiere eine kleine Buddha Legende:
‚Ich bin arm und schwach‘ sprach einst ein Meister zu seinen Schülern, ‚aber ihr seid jung und ich habe euch jahrelang gelehrt. Nun finde ich es eure Pflicht, Geld zu sammeln, das euer alter Meister benötigt, um davon zu leben‘.
‚Wie können wir das vollbringen?‘, fragten ihn seine Schüler, ‚die Menschen in dieser Stadt sind so geizig, dass es vergeblich sein würde bei ihnen anzuklopfen.‘
‚Meine Schüler‘, antwortete der Meister, ‚es gibt eine Methode an Geld zu kommen, und das ist nicht danach zu fragen, aber es sich zu nehmen. Es ist für uns keine Sünde zu stehlen, wo es uns mehr zusteht als vielen anderen. Aber leider bin ich selbst zu alt, um das zu tun‘.
‚Wir sind noch jung‘, sprachen die Schüler, ‚wir können es tun, es gibt nichts, was wir nicht für euch tun wollten, geliebter Meister. Sag uns, wie wir es anpacken müssen und wir werden euch gehorchen‘
‚Ihr seid noch jung‘, antwortete der Meister, ‚es ist eine Kleinig- keit für euch einen reichen Mann zu überfallen und ihm seine Geldbörse abzunehmen, ihr müsst es folgendermaßen tun, sucht einen abgelegenen Ort, wo niemand euch sieht, ergreift den erstbesten Vorbeigänger und nehmt ihm sein Geld ab, aber tut ihm weiter nichts an.‘
Wir werden sogleich damit beginnen‘, sagten alle Schüler, außer einem, der mit niedergeschlagenen Augen nichts gesagt hatte. Der Meister schaute ihn an und sagte:
‚Meine anderen Schüler sind mutig und bereit zu helfen, aber du kümmerst dich ganz und gar nicht um das Leiden deines Meisters‘.
‚Vergib mir Meister‘, antwortete der Schüler, ‚der Plan, den ihr uns vorschlagt, scheint mir nicht durchführbar, und das ist der Grund meines Schweigens‘.
‚Warum ist er undurchführbar?‘, sagte der Meister.
‚Weil es nirgendwo einen Ort gibt, wo niemand zusieht. Selbst wenn ich ganz allein bin, werde ich beobachtet durch mein Selbst. Lieber nähme ich eine Schale mit, um betteln zu gehen, als mir zu erlauben mein Selbst zusehen zu lassen, wie ich stehle.‘
Bei diesen Worten leuchtete das Antlitz des Meisters auf, er nahm den jungen Schüler in seinen Arm und drückte ihn. ‚Ich bin glücklich, dass unter meinen Schülern zumindest einer ist, der meine Worte verstanden hat‘, sprach er. Seine anderen Schüler hingegen, die nun begriffen, dass ihr Meister sie nur auf die Probe stellen wollte, neigten ihre Häupter in tiefer Scham. Seit diesem Tag, sollten jemals unwürdige Gedanken in ihrem Geist aufkommen, werden sie augenblicklich erinnert an die Worte des Mitschülers: Ich selbst beobachte mich die ganze Zeit. So werden sie Männer von Gold und sie lebten alle noch lange.
Plato hat in seinem Dialog über den Staat eine Tugend-Lehre gegeben. Und er kennt die Drei- und Viergliederung des Menschen auch sehr gut.
Als erste Tugend beschreibt er die Weisheit. Aber er beschreibt diese so, dass es nicht ein Buch voll Wissen ist, das der Mensch bei sich trägt, aber dass es eine Fähigkeit ist, um im Leben auf Erden stets mehr zu lernen. Eine Fähigkeit, um nicht allein aus Büchern zu lernen, aber vor allem zu lernen durch alle Ereignisse, alle Begegnungen, alle Freundschaften, alle Feindschaften, alles, was im Leben geschehen kann. Das ist die eigentliche Schule für die Weisheit, genährt durch dasjenige, was in jedem Mensch anwesend ist an Weisheit, eine Weisheit, die er oder sie mitgenommen hat aus vorhergehenden Inkarnationen und die eigentlich erst benutzt werden kann, wenn das Tor geöff- net wird, wodurch man im Leben vom Leben lernen will. Also man muss eigentlich in die Welt hineinziehen, den Mut aufbringen, um das zu tun, und dort seine Lehrstunden nehmen. Rudolf Steiner hat einen wundervollen Vortrag gehalten 1915, mitten im Krieg, dem ersten Weltkrieg, worin er das beschreibt und sagt: „Jemand der das nicht will, der nicht vom Leben lernen will, der eigentlich so froh ist mit sich selber, dass er bleiben will, so wie er ist, den nennen wir einen Philister, einen Bürger, jemand der engstirnig ist und der nicht bereit ist, um im Leben andere Gesichtspunkte zu erfassen, als womit er erzogen und geboren wurde.”
An einer anderen Stelle sagt er, dass man die aus der Familie überlieferten Weisheiten aufnimmt in seiner Embryonalzeit, das ist die Zeit, worin man alttestamentarisches Wissen aufnimmt, das in der Familie lebt, durch das Blut vererbt wird. Und es könnte geschehen, dass man dabei bleibt, sein ganzes Leben lang. Dann erwirbt man keine Weisheit, dann bleibt man ein engstirniger Mensch.
Die zweite Tugend ist die Tugend des Mittelgebiets. Plato nennt das den Mut oder die Tapferkeit. Rudolf Steiner beschreibt diese Tugend als die Kühnheit, um auch wirklich das zu tun, was man für seinen Weisheitserwerb tun muss, nämlich ins Leben hineingehen, sich nicht ängstlich zurückzuziehen in sein Kämmerchen, nicht ängstlich sein vor zum Beispiel Konflikten, oder weiß ich was da alles auf den Weg kommen kann, aber dass man den Mut findet, um in dem Leben wirklich durchtastend seinen Weg zu suchen. Plato hat auch eine sehr interessante Deutung für diese Tugend, wobei diese dann echt im Mittelgebiet gefunden wird. Er beschreibt die Soldaten und die Kriegsherren, die haben die Tapferkeit natürlich dringend nötig. Plato sagt: Unter Tapferkeit verstehe ich, dass ein Kämpfer weiß, wann er ängstlich sein muss und wann nicht. Also das bedeutet nicht, dass man sich immer einfach darauf los trauen muss, sondern man muss Vernunft darin haben, ein Gefühl haben dafür, was möglich ist und was nicht möglich ist.
Die dritte Tugend, die er beschreibt und die zum Stoffwechsel gehört, ist die Tugend der Besonnenheit, die durch Rudolf Steiner dann für die neue Zeit gesehen wird als die Mäßigung. Man kann sich dabei vorstellen, wie man bezüglich des Stoffwechsels eine gewisse Besonnenheit haben muss und auch eine gewisse Mäßigung. Es ist natürlich auch eine Beherrschung des Willenslebens.
Und dann kommt die Beschreibung der Gerechtigkeit. Plato sieht das so, dass jeder Mensch seinen Platz kennt. Gerechtigkeit ist, dass jeder Mensch genau weiß, wo er steht, was er kann und was nicht und sich dann auch nicht ungleich fühlt.
In diesem Sinne bedeutet Gleichheit nicht, dass sie alle genau das Gleiche sind, aber die Gleichheit bedeutet dann, dass man mit aller Kraft seine Position einzunehmen weiß und damit glücklich ist, und dass man also auch das Allerbeste davon zu machen weiß. Bei Rudolf Steiner finden wir dann die Gerechtigkeit in einer Vertiefung. Wenn man an einen Richter denkt, an jemanden, jemanden, der mit Gerechtigkeit urteilt , dann hat man es bei einem Richter, so hofft man, mit jemandem zu tun, der eine gewisse Richtkraft hat für das Richtige, dass dieser genau auszuloten weiß, wie es nun eigentlich ist. Das, sagt Rudolf Steiner, hat jeder Mensch in seinem Leben gekannt, diese Kunst des Richtens. Aber das verliert man in seinem späteren Leben, man hat es in seinen ersten drei Jahren in seinem Leben. Wenn man aufstehen lernt, laufen lernt, sprechen lernt und denken lernt. Das ist eine unglaublich reine Richtkraft. Wenn man ein Kind sieht, das sich aufrichtet, das Gleichgewicht sucht, um stehenbleiben zu können, dann sieht man da eine Art Richterkraft, aber dann sieht, aber dann natürlich völlig geleitet durch das Göttliche. Das verliert der Mensch, aber etwas davon bleibt erhalten. Es kann auch weiter entwickelt werden und das ist die Tugend der Gerechtigkeit.
Nach Rudolf Steiner ist diese Tugend noch lange nicht an der Zeit. Die anderen drei können wir schon entwickeln, aber an der Tugend der Gerechtigkeit müssen wir zwar arbeiten, aber es ist eine sehr geheimnisvolle Kraft, die sich erst im Laufe der Menschheitsentwicklung entfalten wird. Dann bekommt man doch einen Eindruck des gleichen Rechts. Wenn man diesen Inhalt aus der großen Literatur, zum Beispiel Plato und die große moderne Literatur, die Vorträge von Rudolf Steiner, wenn man diese meditativ liest, sodass man sie vertieft, dann beginnt etwas zu dämmern, davon, was Gleichheit unter den Menschen ist und von dem Vermögen der Menschen untereinander gerecht zueinander zu sein.
Wenn man dann das Recht anschaut, sowie es ist, ja dann weiß man tatsächlich, dass das nicht erreicht ist. Das Rechtssystem, das wir haben, ist etwas ganz anderes. Rudolf Steiner beschreibt, dass im westlichen Menschen, und dazu gehören wir auch, nicht so sehr extrem westlich, aber wir gehören zur West-Mitte, bei jedem etwas im Untergrund des Bewusstseins lebt, ohne dass das nach oben kommt, und er nennt das ein Gespenst, das aus der Vergangenheit in uns ist, nicht aus vorhergehenden Inkarnationen so sehr, aber aus der früheren Menschheitsentwicklung. Das haben wir in uns und das bestimmt die Gesetzgebung. Es ist das Römische Recht. Das Römische Recht liegt in uns allen. Man kann es auch veräußerlicht sehen, wenn man Präsident Trump in seinem Büro sieht, mit seinem Schreibtisch und seiner Flagge und seiner ganzen Aufmachung, dann sieht man Rom. Aber das tragen wir alle in uns.
Rudolf Steiner gibt eine Möglichkeit an, um das zu überwinden, und das ist, dass man sich allmählich bewusst wird, dass das in jedem Menschen im Westen im Unterbewusstsein liegt. Unsere Urteilsbildung über das Recht wird dadurch sehr stark bestimmt. Überall in den Parlamenten, in Regierungen, in Beschlüssen, überall wo man sich mit Staatsangelegenheiten beschäftigt, spielt dieses Rom noch immer die Hauptrolle. Beim östlichen Mensch ist das etwas ganz anderes, da ist es kein Gespenst, aber ist es eine Art Bedrohung, ein bedrückender Traumzustand, der im Menschen anwesend ist, der auch nicht bewusst wird – und das ist der Traum der Zukunft, das ist nämlich der Traum der sechsten Kulturperiode, von Philadelphia, wenn alle Menschen Brüder werden. Das ist der Traum des östlichen Menschen, aber dieser ist noch nicht wahr. Dadurch ist dieser ebenfalls ein störender Faktor, sowie Rom beim westlichen Menschen ein störender Faktor ist. Was also eigentlich nicht zu dieser Zeit gehört, diese in- nerlichen Zustände, bestimmt größtenteils das Rechtsleben des Menschen.
Wenn wir dann weiter gehen in der Geschichte, nach Plato, dann kommen wir nach Christus sehr eindrucksvoll Paulus entgegen, der in seinem Brief an die Römer schreibt, dass das Gesetz die Ursache ist der Sünde. Das ist natürlich eine sehr erstaunliche Formulierung, er sagt: Bevor das Gesetz war, gab es keine Sünde, die Sünde entsteht erst mit dem Gesetz. Wir Christen müssen uns nicht kümmern um das Gesetz, aber wir müssen Christus in uns aufnehmen, das ist das lebende Gesetz und das wird von innen dafür sorgen, dass das, was einmal Gesetz war bei Moses, durch den Menschen selber voll bewusst gewollt wird. Das man nicht anders leben will, als nach diesen Prinzipien, aber dann noch viel größer und umfassender und liebevoller, als das in diesen zehn Geboten kurz zusammengefasst wird. Das ist Paulus. Da fühlt man den enormen Übergang im Rechtsleben, mit einem Blick auch wieder in die Zukunft, worin ein Mensch erwartet wird, der leben könnte, so wie das in der Philosophie der Freiheit schlussendlich beschrieben wird, dass man sein eigenes Gesetz ist. Aber weil dieses Gesetz bei allen Menschen aus derselben Quelle kommt, sind alle Menschen im Rechtsgebiet gleich. Nur die Art und Weise, wie man seine Gesetze macht, die ist anders, aber es gibt keinen Widerspruch im Gesetz.
Gegen diesen durchchristeten Mittenmenschen streitet in uns noch sehr viel. Und ich habe gedacht, wenn man über das zweite Glied der drei sprechen will, dann muss man doch eigentlich über die direkte soziale Umgebung sprechen, den Umgang von Mensch zu Mensch, nicht in dem Gebiet, wo der eine durch sein Karma im Geistesleben weiter entwickelt ist, oder weniger weit entwickelt ist, aber im Mittelgebiet, wo wir alle dieselbe Luft atmen und auch ausatmen. Es gibt niemanden, der sagt, dass er das unhygienisch findet... Das kommt vielleicht auch noch, dass Menschen mit Lappen davor umherlaufen, weil sie die Luft des anderen nicht ertragen können. Im Zusammenhang mit der Luftverschmutzung kann das noch verständlich sein. Aber das man das tun würde, weil man den Gedanken nicht ertragen kann, dass ein anderer Mensch die eigene Luft erst in sich hatte, da muss man einmal darüber nachdenken. Ja, so weit sind wir noch nicht. Das gemeinsame Benutzen der Luft, das ist ein Bild für die Gleichheit unter den Menschen. Und wie ich schon sagte, sind da eine ganze Menge Faktoren, die uns dabei stören, um im sozialen Leben wirklich in der Gleichheit miteinander umzugehen. Dann kann man immer wieder seine Zuflucht suchen zu Rudolf Steiner, der ein wunderbarer Inspirator ist natürlich. Er beschreibt zum Beispiel die drei antisozialen Antriebe beim Menschen, wo der Mensch also nicht sozial ist. Im Denken ist es so, dass, wenn man mit einem Menschen Gedanken austauscht, wenn man eine Begegnung hat, es nun einmal so sein muss, dass der eine das Wort hat und der andere zuhört. Das ist jetzt sehr extrem der Fall, während des Vortrags. Aber in einem Gespräch ist da natürlich ein hin und her. Vielleicht kennen sie die Philosophie von Sartre, der Franzose, der beschrieben hat in ‚L‘Être et le Néant ‘ (Sein und Nicht-Sein), dass man in der Begegnung mit einem anderen Menschen ständig einen Streit hat, um das Sein. Und das ist etwas Antisoziales, dass man am Kämpfen ist, um sein Sein zu erhalten, und dass der andere das dir wegnimmt und die Macht zu nehmen droht und das Sein hat und dann hast du es nicht. Und so ist da, so beschreibt er, nie ein Gleichgewicht. Rudolf Steiner beschreibt es nuancierter. Im Gespräch ist es so, dass, wenn man dem anderen zuhört, man sein eigenes Denken aufgibt für das Denken des anderen. Also man muss in diesem Moment kurz aufhören seine eigenen Gedanken zu formen, weil sonst entgeht einem, was der andere sagt. Es stört die Kommunikation, wenn man das nicht will und also bei seinen eigenen Gedanken bleibt, nicht zuhört. Wenn man wohl zuhört, dann tritt dieses antisoziale Element auf, dass der andere dich in den Schlaf bringt. Das ist natürlich so, denn man schläft gewissermaßen in den Gedanken des anderen hinein. Man bleibt wach für den anderen, aber hat sich selbst so stark vergessen, als ob man schläft. Sozial wird das, wenn der Mensch das mit Willen tut. Wenn Sie hier sitzen und Sie hören mir zu und Sie bringen keinen Willen auf, um absichtlich zuzuhören, dann fällt man in den Schlaf – und dann hab ich das getan, eigentlich. Weil eigentlich ist so ein Monolog etwas Antisoziales. Sie können mich davon erlösen, durch mit Willen die Gedanken mitzudenken, aber das müssen sie natürlich selbst wollen. Im Gespräch ist das etwas anderes, da ist es ständig – wenn es gut ist – ein hin und her und dann ist das ein bestimmtes Gleichgewicht, aber es bleibt eine antisoziale Art von Kommunikation, es sei denn, dass beide Parteien mit Willen sich in die Gedanken des anderen vertiefen wollen, dann ist das vorüber. Wenn man passiv einander zuhört, dann ist das eigentlich ständig antisozial.
Im Gefühlsleben kennen wir es sehr gut, wenn wir antiso- zial sind, und das ist, wenn wir uns von den Gefühlen leiten lassen zu Urteilen aus Sympathie und Antipathie. Das ist natürlich ständig der Fall, das geht natürlich auch nicht anders. Man fühlt die Emotionen, aber man könnte sich beherrschen lernen, um nicht zu einem Urteil zu kommen und dieses schon gar nicht auszuleben. Dann würde man sich allmählich daran gewöhnen, im Gefühlsleben mit dem Mitmenschen nicht seinen Emotionen zu folgen, sondern dass man einen Weg finden muss, um mit seinem Mitmen- schen zu leben. Das ist eigentlich die Kunst. Dass man also nicht in allen möglichen Emotionen aufbraust oder zusam- menbricht, aber dass man mit dem anderen leben kann. Dann wird das Gefühlsgebiet ein soziales Gebiet.
Wir haben das letzte Mal am zweiten Tag ein paar Übungen auf diesem Gebiet gemacht.
Das Gebiet des Willens, da liegt natürlich vor allem das Soziale im Opfer des Selbst und das könnte man auch Liebe nennen. Obwohl die Liebe sicherlich im Gebiet des Gefühls auch einen Platz findet, aber dann nicht als Sympathie, aber als das Leben lernen mit seinem Mitmenschen in Freud und Leid, das ist etwas anderes, natürlich.
Aber im Willensleben kommt es dann wirklich auf das Opfer an. Bei Rudolf Steiner findet man, wenn er darüber spricht, immer die Ermahnung, dass jeder Mensch von sich selber glaubt das eigentlich schon zu können, sich selbst schon auslöschen zu können, aber dass das in den meisten Fällen doch ganz entscheidend eine Illusion ist, die man sich selber vormacht, dass eigentlich das echte Opfern des Selbst um willen des Selbst eines anderen doch noch etwas ganz anderes ist, als was wir so denken, was Liebe ist. Man kann sich natürlich darin vertiefen, wie das dann sein muss, aber alles in allem kommt man dann bei einem Impuls zur Selbsterziehung heraus, sowohl was das Gebiet des Denkens betrifft, das reine Gefühlsgebiet und das Willensgebiet, worin man sieht, allmählich einsieht, dass das Mittelgebiet, der Austausch mit seinem Mitmenschen, der Umgang im rein sozialen Gleichheitsgebiet, etwas ist, was von Natur aus wirklich nicht da ist, dass das etwas ist, was wirklich aktiv in die Hand genommen werden muss. Dass man davon ein Lebensideal machen könnte, dass man dem seine Tage widmet. Jeder Mensch hat mit anderen Menschen zu tun und man kann auch hinter der Theke im Supermarkt oder so, etwas für die Selbsterziehung tun, auch als Kunde an der Kasse. Dass es nicht gelingt, das ist natürlich klar, nicht vollkommen meine ich. Man wird natürlich beim Zurückschauen auf den Tag immer die Momente finden, worin das nicht vollkommen war, aber es geht vielmehr um das Streben, als um die Resultate. Und dann wird man sehen, dass man natürlich allmählich einige Schritte in die gute Richtung setzt.
Also die soziale Gliederung der Mitte beginnt bei uns direkt hier, gleich, jetzt, morgen. Überall, wo man mit Menschen zu tun hat, hat man zu tun mit diesem Gebiet der Gleichheit. Die andern zwei Gebiete liegen in einem anderen Lebensgebiet, das Wirtschaftsleben und das Geistesleben, aber der normale alltägliche Umgang ist ein Gebiet der Gleichheit. Und so lange wir als Menschen, die sich entwickeln wollen in Richtung einer sozialen Dreigliederung, das nicht einsehen, dass es doch dort beginnen muss, kann man jetzt, 100 Jahre nach dem nicht gelungen sein des Impulses von Rudolf Steiner, nicht erwarten, dass das jetzt dann wohl gelingen würde.
Wenn wir nicht als Anthroposophen einen Impuls in uns aufkommen fühlen, die Frage, wer ist das eigentlich, der Gleiche, den ich hier treffe, wie komme ich in eine Ein- und Ausatmung in der gleichen freien und nicht zurückhaltenden Weise, wie ich das mit meiner Atmung tue, warum ist das alles so kompliziert und so schwierig, was kann ich tun, um eine andere Haltung zu finden in diesem Gebiet der Gleichheit? – dann kommen wir nicht in die Nähe der sozialen Dreigliederung, selbst nicht in die Nähe der wirksamen Idee. Das liegt natürlich noch mehr im Gebiet der Freiheit, was ich nun sage, der freie Wille zur Selbsterziehung. Aber das Resultat liegt im Gebiet der Gleichheit. Die Freiheit im Geistesleben ist eine Freiheit des Ich, das sich selbst bestimmt. Hier kommt man in ein Gebiet, da hat man allein nur für sich selber etwas zu suchen, denn man kann nie, nie von einem anderen erwarten, dass dieser sich selber erzieht, man kann das allein von sich selbst erwarten.
Es ist einer der großen störenden Impulse, natürlich auch in einer Gemeinschaft, worin Spiritualität gesucht wird, dass die Gleichheit im Gefühlsleben eigentlich als viel kostbarer, mehr geheiligt gesehen wird, als die Freiheit im Geistesleben. Gerade weil im Geistesleben der Mensch sich selbst bestimmen kann, ist es auch absolut möglich, um in diesem Gebiet einander zu kritisieren oder jedenfalls die Diskussion zu beginnen. Im Gebiet der Wissenschaft ist das auch üblich, man würde nicht weiter kommen mit der Wissenschaft, wenn niemand jemals sagen dürfte, das was damals untersucht und als Wahrheit angenommen wurde, das ist nicht wahr. In diesem Gebiet liegt die Diskussion, aber im Gebiet der Mitte und im Gebiet des Willens, da kommt es echt auf einen selber an und da müssten wir soweit kommen, dass wir in uns selber den Impuls wecken, um gleich, morgen und den Rest des Lebens diese Entwicklung in Gang zu setzen. Natürlich haben Sie das schon lange getan, aber ich muss es sagen, weil es der Kern der Sache ist, wenn man es zu tun hat mit dem zweiten Glied im sozialen Organismus.
Ich habe, bevor ich die Anthroposophie kennengelernt habe, viel über diese Dinge nachgedacht, ohne Hilfe von Steiner, und im Leben auch sehr viel auf diesem Gebiet gelesen und vollzogen. Eines der Geschenke vor Rudolf Steiner war Martin Buber, der eine Beschreibung gibt dieses Mittelgebiets, wo man einen Unterschied macht zwischen dem Ich, das mit einem Du in der Begegnung zusammen kommt, oder in der Begegnung mit einem Es zusammen kommt, ich und du, oder ich und es. Also ich und du, aber dann ist du natürlich eindeutig auch ich, das ist nur des anderen sein Ich, aber das ist dasselbe, dann hat man echt eine Kommunikation. Aber was meistens geschieht, das der Andere zu einem Ding gemacht wird und auch als ein Ding behandelt wird, das ist natürlich unverschämt. Es ist oft ein Verteidigungsmechanismus auch, dass muss man dann natürlich auch einsehen.
Wie auch immer, Martin Buber hat eine Anzahl Aufsätze geschrieben über diese Gedanken, über den Menschen. Er hat das zusammengefasst unter dem Titel: Das dialogische Prinzip. Und er beschreibt, ich würde das ganze Buch vorlesen wollen, aber ich beherrsche mich:
„Was aber bedeutet das, in dem genauen Sinn, in dem ich hier das Wort verwende, eines Menschen innewerden? Eines Dings oder Wesens innewerden heißt ganz allgemein: es als Ganzheit und doch zugleich ohne verkürzende Abstraktionen, in aller Konkretheit erfahren. Aber ein Mensch ist, wiewohl als Wesen unter Wesen und sogar als Ding unter Dingen befindlich, doch etwas von allen Dingen und von allen Wesen kategorial Verschiedenes: weil ein Mensch nicht wirklich erfaßt werden kann, ohne daß man ihn auch von der dem Menschen allein unter ihnen allen eignenden Gabe des Geistes her erfaßt und zwar des Geistes als entscheidend beteiligt an dem Personsein dieses Lebewesens hier: des personbestimmenden Geistes. Eines Menschen innewerden heißt also im besonderen seine Ganzheit als vom Geist bestimmte Person wahrnehmen, die dynamische Mitte wahrnehmen, die all seiner Äußerung, Handlung und Haltung das erfaßbare Zeichen der Einzigkeit aufprägt. Solch ein Innewerden ist aber unmöglich, wenn und solang der andere mir das abgelöste Objekt meiner Betrachtung oder gar Beobachtung ist, denn ihr gibt sich diese Ganzheit und gibt sich diese ihre Mitte nicht zu erkennen; es ist erst möglich, wenn ich zu dem andern elementar in Beziehung trete, wenn er mir also Gegenwart wird. Darum bezeichne ich das Innewerden in diesem besonderen Sinne als personale Vergegenwärtigung.”
So geht das das ganze Buch hindurch, dass man also eigentlich immerfort denkt: Ja, so ist es!
Damit schließe ich dann vorläufig ab und nach der Pause können wir noch ins Gespräch kommen und morgen können wir in Übung kommen, auf allerlei Art.