Fercher von Steinwand
19-03-2018 Artikel von Jos MosmullerIn Kärnten befinden sich zwei hohe Berge, der Sadnigg und der Kreuzegg, beide 2700 m hoch. Zwischen diesen Bergen liegt das Mölltal, ein großartig gelegenes Tal, durch das das Flüsschen Möll strömt und in dem das Dorf Stall liegt. Ein Teil des Dorfes heißt ,Untere Steinwand’. 1828 wurde dort ein Junge geboren. Sein Vater hieß Georg Frohnwisser und seine Mutter Anna Kleinfercher. Der Vater war ein Bauer, der sehr arm war und der eine ernstlich kranke Frau hatte. Er nahm Anna als Hilfe ins Haus und bekam mit diesem Mädchen ein Kind. Die Frau starb, und danach bekam Anna noch ein Kind von dem Bauer. Aber der Hof konnte nicht weitergeführt werden, weil es kein Geld gab, der Bauer musste die Pacht aufgeben und ging in den Lohndienst. Seine Geliebte schickte er nach Hause zu ihren Eltern. Aber die Eltern wollten nichts mehr von ihr wissen – sie war schließlich ein sündiges Mädchen, das unverheiratet schon das zweite Kind bekommen sollte. Sie arbeitete und wohnte dann wieder auf einem anderen Hof und bekam da ihr zweites Kind: Johann Kleinfercher, das war 1828. Der Junge hatte eine schwere Jugend, wurde von den anderen Kindern gehänselt, weil er keinen Vater hatte. Als er fünf Jahre alt war, ging er zur Dorfschule Sankt Georgen. Da gab es einen Pastor und einen Kaplan, und der Junge war in der Schule sehr gut. Er las die Messbücher, die Bibel und fand auch Schillers Bühnenstück ,Die Räuber’. Er fand auch ein Predigtbuch, das er auswendig lernte, und so predigte er den Jungen und Mädchen, dass sie bessere Menschen werden sollten... Sie alle sagten, dass er Priester werden müsse. Sein Vater, der ein fröhlicher Mann war, besuchte ihn öfters und gab ihm Mut. Der Dorfpfarrer sorgte dafür, dass er mit zwölf Jahren zum Benediktinerkloster in Klagenfurt gehen konnte. Da wurde deutlich, dass er sehr gut lernen konnte. Pater Joseph Heilmann nahm ihn ins Haus auf, und er konnte auf das Gymnasium gehen. Johann liebte die Raubrittergeschichten von Jozef Alois Gleich. Er studierte sie mit seinen Freunden ein, führte sie auf und verlangte dafür Eintritt... Das war sehr erfolgreich, aber als Pater Joseph es entdeckte, musste er unmittelbar damit aufhören.
1843 war das. 1848 gab es in allen großen Städten Aufstände: Berlin, Amsterdam, Paris... Sie wollten mehr Einfluss haben und bekamen diesen schließlich auch. Die Thorbecke-Gesetze in Holland zum Beispiel sorgten dafür, dass es mehr parlamentarische Befugnisse gab. Johann hatte inzwischen einen Disput gebildet, Turnia, genannt nach der grichisch-römischen Stadt in Oberkärnten. Zu seinen Freunden gehörte auch Alois Egger, ein bekannter Germanist, der später der Lehrer von Kronprinz Rudolf wurde. Sie gaben eine Zeitschrift heraus, nicht politisch. Sie wollten Glaube, Liebe und Brüderlichkeit entwickeln und fördern. Aber es wurde doch politisch gedeutet, und man fand Johann verdächtig. Man zog ihn präventiv ins Militär des kaiserlichen Österreichs ein. Er wollte das natürlich nicht, gab erst vor, dass er krank sei, und kam ins Krankenhaus. Aber das funktionierte nicht, und er musste nach Slowenien flüchten. Dort hat er in Görz das letzte Jahr des Gymnasiums absolviert und seinen Abschluss gemacht. 1849 konnte er wieder zurück nach Österreich und ging nach Graz an die Universität, wo er Jura studierte. Hier kam er zu Professor Edlauer, einen bekannten Kriminologen, bei dem er Vorlesungen über Naturrecht erwartete. Als er jedoch den Hörsaal betrat, behandelte dieser Professor etwas ganz anderes: die deutschen Idealisten, die Philosophen. Hegel, Fichte, Schelling. Er lehrte das reine philosophische Denken, und für Johann war es etwas, was er seine ,vita nuova’ nannte, sein neues Leben. Er konnte sich nichts Schöneres vorstellen. Ein Jahr später ging er nach Wien, um deutsche Literatur zu studieren, alte und neue Literatur. Und weil er nie Geld hatte und sich nicht ordentlich ernähren konnte, bekam er Flecktyphus, wurde schwer krank und war schließlich dem Tode nahe. Aber sein Arzt, Doktor Bötticher, der die Gedichte, die Johann inzwischen geschrieben hatte, gelesen hatte, bewunderte diese so sehr, dass er ihn in sein eigenes Haus aufnahm. Später adoptierte das Ehepaar Bötticher ihn in gewissem Sinne, sodass er dort leben konnte, gut zu essen bekam, studieren konnte und sogar seine Dichtungen herausgeben konnte.
Steinwand Kärnten Österreich
Dann hörte er von 1852 bis 1857 Vorlesungen an der Universität Wien. Er studierte hier Geografie, Astronomie und Geschichte und Kunstgeschichte. Gerne möchte ich ein Stück wiedergeben, das er über die Astronomie geschrieben hat:
„Nur die erhabenste Wissenschaft, die Sternkunde, behielt und bewahrte ihre alte Turmherberge, wie vergessen im Wirbel der ungestümen und feindseligen Tage. Um mich von dem unruhigen Missbehagen zu befreien, das mir mein geringer Einblick in den unermesslichen, ideenbevölkerten Lichtstaat einflösste, besuchte ich drei Jahre hindurch die Schule der Sterne. Das war für Gemüt und Geist eine Aufrichtung, ein immer wieder zu Herzen sprechender Trost.“
– Fercher von Steinwand: Sämtliche Werke
Er nannte sich von da an Johann Fercher von Steinwand.
Johann Fercher von Steinwand - Karl Bender
Er hat in dieser Zeit einen ,Prometheus’, eine Künstlertragödie, geschrieben. Er machte Bekanntschaft mit Robert Hamerling. Dieser unterstützte Fercher in seinem Kampf gegen den Materialismus, der in dieser Zeit sehr stark aufkam. Er schrieb die Satire ,Gräfin Seelenbrand’, ein merkwürdiger Titel. Eine Frau ist in einen Mann verliebt und umgekehrt. Aber die Frau ist nur mit äußerlichen Dingen beschäftigt und sehr gierig und wird darum ,Seelenbrand’ genannt. Die Liebe war nicht idealistisch. Hamerling fand für diese Satire sehr viel Lob. Danach kam er über seinen Herausgeber von Lohenbach in Kontakt mit einem berühmten Professor der Medizin, Joseph Herzl. Dieser hatte eine Oratio gehalten, in der er die materialistische Gesinnung der medizinischen Wissenschaft gezeigt hatte. Er lernte Fercher kennen und förderte sein Werk.
Mit dem idealistischen ,Schwung’, dem Wesen des deutschen Geistes, der nicht nationalistisch aufgefasst werden darf, sondern hochgeistig, fühlte Fercher sich stark verbunden, und er hat dann ,Deutsche Klänge aus Österreich’ geschrieben und preist darin den deutschen Volksgeist. Rudolf Steiner sagt darüber, dass die Seele verjüngende Kräfte vom deutschen Geist empfängt, weil die Worte direkt aus dem Kosmos kommen.
Aus der Sehnsucht heraus, auch Dramen zu schreiben, die den deutschen Geist tragen, hat er zum Beispiel das Drama ,Der Thronwechsel’ geschrieben, ,Berengar’ und ,Dankmar’, wofür Kleinfercher 1867 den ,Literaturpreis des österreichischen Reichsrats’ erhielt. Dankmar ist der Bruder von Kaiser Otto I., einem deutschen Kaiser im Jahr 962. Er hatte Macht über ganz Europa. Dankmar war mit einer Frau verheiratet, durch die er eine bestimmte Würde nicht erwerben konnte. Dankmar repräsentiert gerade den deutschen Geist und nicht die Macht. Er gibt damit ein Vorbild aus der Geschichte.
Fercher war sehr besorgt, dass der deutsche Geist sich nicht entfalten könnte. Das hat er in seiner berühmten ,Zigeuner- Rede’ ausgesprochen. Er vergleicht den deutschen Geist mit einem Zigeuner. Er hielt diese Rede sogar ganz offiziell vor Staatsvertretern in Dresden.
Rudolf Steiner sagt über den deutschen Geist: Man ist kein Deutscher, ein Deutscher muss man werden. Man kann wohl ein Holländer oder ein Franzose sein, aber nicht ein Deutscher, der muss man werden. Das gilt dann nicht nur für die national Deutschen, sondern das gilt für alle Menschen auf der ganzen Welt: Jeder kann Deutscher werden. Nicht durch Geburt, sondern durch innere Arbeit.
Rudolf Steiner hat Fercher von Steinwand 1888 kennengelernt. Sein Jugendfreund Fritz Lemmermayer brachte ihn mit ihm in Kontakt. In ‚Mein Lebensgang‘ schreibt Rudolf Steiner:
,In diesem Kreise hörte ich nun mit großer Begeisterung von einem deutsch-österreichischen Dichter sprechen und lernte auch zunächst einige seiner Dichtungen kennen. Diese machten auf mich einen starken Eindruck. Ich strebte danach, ihn kennen zu lernen. Ich fragte Fritz Lemmermayer, der ihn gut kannte, und einige andere, ob der Dichter nicht zu unseren Versammlungen eingeladen werden könnte. Aber man sagte mir, der ist nicht herzukriegen, wenn man vier Pferde anspannte. Der sei ein Sonderling und wolle nicht unter Leute gehen. Ich wollte aber durchaus ihn kennen lernen. Da machte sich denn die ganze Gesellschaft eines Abends auf und wanderte nach dem Orte, wo ihn die ,Wissenden’ finden konnten. Es war eine kleine Weinstube in einer Parallelgasse zur Kärtnerstraße. Da saß er in einer Ecke, sein nicht kleines Glas Rotwein vor sich. Er saß, wie wenn er seit unbegrenzt langer Zeit gesessen hätte und noch unbegrenzte Zeit sitzen bleiben wollte. Ein schon recht alter Herr, aber mit jugendlich leuchtenden Augen und einem Antlitz, das in den feinsten, sprechendsten Zügen den Dichter und Idealisten offenbarte. Er sah uns Eintretende zunächst nicht. Denn durch den edelgeformten Kopf zog sichtlich eine entstehende Dichtung. Fritz Lemmermayer mußte ihn erst am Arm fassen; da wendete er das Gesicht zu uns und blickte uns an. Wir hatten ihn gestört. Das konnte sein betroffener Blick nicht verbergen; aber er offenbarte es auf die allerliebenswürdigste Weise. Wir stellten uns um ihn. Zum Sitzen war für so viele kein Platz in der engen Stube. Es war nun merkwürdig, wie der Mann, der als ein „Sonderling“ geschildert worden war, sich nach ganz kurzer Zeit als geistvoll-gesprächig erwies. Wir empfanden alle, mit dem, was sich da zwischen Seelen im Gespräche abspielte, können wir in der dumpfen Enge dieser Stube nicht bleiben. Und es gehörte nun gar nicht viel dazu, um den „Sonderling“ mit uns in ein anderes „Lokal“ zu bringen. Wir andern außer ihm und einem Bekannten von ihm, der schon lange in unserem Kreise verkehrte, waren alle jung; doch bald zeigte es sich, daß wir noch nie so jung waren, als an diesem Abend, da der alte Herr unter uns war, denn der war eigentlich der allerjüngste.
Johann Fercher von Steinwand
Ich war in tiefster Seele ergriffen von dem Zauber dieser Persönlichkeit. Es war mir ohne weiteres klar, daß dieser Mann noch viel Bedeutenderes geschaffen haben müsse, als er veröffentlicht hatte, und ich fragte ihn kühnlich danach. Da antwortete er fast scheu: ja, ich habe zu Hause noch einige kosmische Sachen. Und ich konnte ihn dahin bringen, daß er versprach, diese das nächste Mal, wenn wir ihn sehen dürfen, mitzubringen.
So lernte ich Fercher von Steinwand kennen. Ein kerniger, ideenvoller, idealistisch fühlender Dichter aus dem Kärntnerland.
...
Wir brauchten nunmehr den ,Sonderling’ nicht mehr zu holen. Er erschien fast regelmäßig an unseren Abenden. Mir wurde die große Freude, daß er an einem derselben seine „kosmischen Sachen“ mitbrachte. Es waren der ,Chor der Urtriebe’ und der ,Chor der Urträume’, Dichtungen, in denen in schwungvollen Rhythmen Empfindungen leben, die an die Schöpferkräfte der Welt heranzudringen scheinen. Da weben wie wesenhaft Ideen in herrlichem Wohlklang, die als Bilder der Weltkeimesmächte wirken. Ich betrachte die Tatsache, daß ich Fercher von Steinwand habe kennen lernen dürfen, als eine der wichtigen, die in jungen Jahren an mich herangetreten sind. Denn seine Persönlichkeit wirkte wie die eines Weisen, der seine Weisheit in echter Dichtung offenbart.
Ich hatte gerungen mit dem Rätsel der wiederholten Erdenleben des Menschen. Manche Anschauung in dieser Richtung war mir aufgegangen, wenn ich Menschen nahegetreten war, die in dem Habitus ihres Lebens, in dem Gepräge ihrer Persönlichkeit unschwer die Spuren eines Wesensinhaltes offenbaren, den man nicht in dem suchen darf, was sie durch die Geburt ererbt und seit dieser erfahren haben. Aber in dem Mienenspiel, in jeder Gebärde Ferchers zeigte sich mir die Seelenwesenheit, die nur gebildet sein konnte in der Zeit vom Anfange der christlichen Entwickelung, da noch griechisches Heidentum nachwirkte in dieser Entwickelung. Eine solche Anschauung gewinnt man nicht, wenn man über die zunächst sich aufdrängenden Äußerungen einer Persönlichkeit sinnt; man fühlt sie erregt durch die solche Äußerungen scheinbar begleitenden, in Wirklichkeit aber sie unbegrenzt vertiefenden, in die Intuition eintretenden Züge der Individualität. Man gewinnt sie auch nicht, wenn man sie sucht, während man mit der Persönlichkeit zusammen ist, sondern erst dann, wenn der starke Eindruck nachwirkt und wie eine belebte Erinnerung wird, in der das im äußeren Leben Wesentliche sich auslöscht und das sonst ,Unwesentliche’ beginnt eine ganz deutliche Sprache zu reden. Wer Menschen ,beobachtet’, um ihre vorangegangenen Erdenleben zu enträtseln, der kommt ganz gewiß nicht zum Ziele. Solche Beobachtung muß man wie eine Beleidigung empfinden, die man den Beobachteten zufügt; dann erst kann man hoffen, daß wie durch eine von der geistigen Außenwelt kommende Schicksalsfügung sich das Langvergangene des Menschen in dem Gegenwärtigen enthüllt.’
Fercher von Steinwand Dichterstube
Das hat eine Verbindung zu den Hierarchien. Und was Rudolf Steiner hier über die frühere Inkarnation von Fercher von Steinwand sagt, weist in die Richtung von Dionysius Areopagita. Er wäre also mit Paulus auf der Agora in Athen gewandelt und Paulus hätte ihn unterwiesen. Und obwohl diese Lehren nicht von diesem Dionysius aufgeschrieben wurden, wurden sie mündlich weitergegeben und erst im sechsten Jahrhundert nach Christus von einem ,Pseudo-Dionysius’ aufgeschrieben und veröffentlicht. Es sind die originellsten Schriften über die christliche Hierarchienlehre. Das war 1888 bis 1893. Er hat bis 1902 gelebt. 1901 ist er noch einmal ins Mölltal zurückgegangen. Er hat vorausgeahnt, dass er sterben würde. Es kamen junge Dichter zu ihm an die Tür, und er ließ wissen, dass er keine neuen Bekannte mehr brauche. Der junge Dichter legte seine Arbeit in den Briefkasten. Nach einigen Tagen kam der Junge dennoch zurück und ihm wurde zugerufen: Komm herein! Es ist sehr schön, was du geschrieben hast! Das war nicht lang vor seinem Tod.
Mölltal
Er wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof begraben.
In ,Vom Menschenrätsel’ schreibt Rudolf Steiner über ihn:
,Er war [...] eine wahre Lichtgestalt; schon äußerlich; aus edlen Zügen, aus sprechenden Augen, in ausdrucksreichen Gesten off enbarte sich einnehmende Wärme; durch Abgeklärtheit und Besonnenheit hindurch wirkte im Greise noch wie mit Jugendfrische diese Seele.’
Literatur:
Friedrich Zauner, Fercher von Steinwand, Verlag am Goetheanum 1989.
Rudolf Steiner, Mein Lebensgang, GA 28.
Rudolf Steiner, Vom Menschenrätsel, GA 20.