Biographie von Mieke Mosmuller

Mieke_Mosmuller_2013In ihrem Buch 'Eine Klasse voller Engel' schreibt Mieke Mosmuller über ihren geistigen Lebensweg:

'Als Kind eines evangelisch-reformierten Vaters und einer katholischen Mutter wurde ich im katholischen Glauben erzogen und erlebte auch die religiösen Gewohnheiten und Inhalte der väterlichen Familie mit. Die religiöse Erziehung war nicht stark durch eine Kirche geprägt, mehr durch den christlichen Inhalt an sich. Ich ging in eine katholische Grundschule und ein städtisches Gymnasium, wo ich neben den modernen Sprachen und den exakten Fächern die klassischen Sprachen und Geschichte studieren musste. Durch die griechische Mythologie wurden auch die biblischen Inhalte und der Glaube an sich fragwürdig – weil auch sie mythisch zu sein schienen.

Mein Vater – der schwer krank war und im Krankenhaus lag – starb plötzlich, in meiner Anwesenheit, als ich acht Jahre alt war. Dieses Ereignis hat das weitere Leben sehr stark beeinflusst, es führte schon früh zu einer Art Bewusstsein, dass der Mensch ein sterbliches Wesen ist, dass am Ende des Lebens für jeden Menschen der Tod steht – und dass es immer unerwartet einen definitiven Abschied geben kann. ‚Memento mori!’ wurde ein Lebensthema…Das Bewusstsein der Sterblichkeit und der Verlust an Glauben wurden im Gleichgewicht gehalten durch die Freude an der menschlichen Begegnung, an der Freundschaft und an der Harmonie in der Musik. Der innerliche Zweifel an der Unsterblichkeit und dem Geist wurde im Grunde durch einen Spruch geheilt, den ich in einem Roman las: ‚Lord, grant me the serenity, to accept the things I cannot change; the courage to change the things I can; and the wisdom to know the difference.’ Später habe ich erfahren, dass dies Worte von Franz von Assisi seien. Wie die schönste Musik gaben mir diese Zeilen die Zuversicht wieder.Trotzdem war das Medizinstudium ein Ringen mit dem Tod als Erscheinung. Der katholische Glaube konnte mir nichts mehr geben. Eine Teilnahme an einer Studiengruppe zur jüdischen Philosophie und der Thora brachte wiederum eine tröstende Zeile: ‚Und dennoch werde Ich immer bei dir sein…’

Das Ringen mit dem Medizinstudium und dem Beruf als Ärztin dauerte vom 18. bis an das 32. Lebensjahr. Dann las ich die ‚Theosophie’ Rudolf Steiners – in einer Nacht – und das Ringen war vorüber, die Einsicht vollkommen. Diese Wirkung des Buches bewies dessen volle Wahrheit, denn in nur einer Nacht wurde das Rätsel der Sterblichkeit gelöst – nicht nur in der Erkenntnis.

Im 33. Lebensjahr machte ich die erste Bekanntschaft mit der ‚Philosophie der Freiheit’. Einige Jahre später, als ich meine Mutter, die eine furchtbare Krankheit durchmachte, in ihren letzten Jahren miterlebte, habe ich, eigentlich um mich aufrecht zu erhalten, die ‚Philosophie’ als Übungsbuch meditativ durchgearbeitet und sie mit der Philosophie von Krishnamurti verglichen. Ich wollte die ‚Philosophie der Freiheit’ nicht nur lesen – denn verstanden war sie schon –, ich wollte sie Abschnitt für Abschnitt wirklich tun, ausführen, in der eigenen Seele prüfen, untersuchen. Was geschieht, wenn ich das Denken zu beobachten versuche? Wie rufe ich meine Gedanken zurück? Was ergibt sich dann? Was ist die sinnliche Wahrnehmung, was geschieht, wenn ich etwas mit dem Auge anschaue, mit dem Ohr anhöre, wie finde ich den Begriff usw. Die innerliche Anstrengung führte dazu, dass das Buch sich immer mehr in einem Gedankenfluss tätig denken ließ. Als es dann einige Monate geruht hatte, trat in der Meditation das erste Mal die Erfahrung der Umwandlung des toten Denkens in lebendige reine Denkkraft ein – die mich danach nie mehr verlassen hat, die sich immer mehr zu einem Schauen des Geistes erweiterte und noch immer erweitert. Dieses Denken stellte sich von Anfang an als ein ehrfurchtsvolles Erleben des Logos dar, immer mehr von Ihm erfüllt: ‚Die erste Gestalt, in der Christus an die menschliche Seele herantritt, ist die des Denkens.’

Die erste Erfahrung liegt bereits mehr als dreißig Jahre zurück in der Vergangenheit. Sie ist gereift...

Die Verwandlung des toten Denkens in eine lebendige Denkkraft hat sich immer mehr zu einem Schauen des Geistes erweitert. Es wurde mir gegeben, die Erkenntnistheorie in einen Erkenntnispraxis umzuwandeln. Die Theorie ist so logisch wie der Beweis des Lehrsatzes von Pythagoras. Wenn die Theorie zur Tat wird, geschieht etwas wie ein Realwerden einer mathematischen Beweisführung. Jeder Schritt konnte auch eingesehen werden, wird jedoch durch das Geschehen erst vollkommen bewiesen, bestätigt. Zuerst gab es eine Denkkraft, die in der Aktualität als reine leere und bewegende Kraft kontempliert werden konnte. Dann erwachte der innere Zuschauer, der nicht nur die reine Denkkraft aktuell anschauen kann, sondern auch den von Inhalt erfüllten Denkprozess. Damit wird das bekannte ‚nie’ (S. 43 in ‚Die Philosophie der Freiheit’) überwunden, die Unmöglichkeit gilt für den Verstand, nicht für das lebendige Denken. Man erlebt sich ab diesem Moment tatsächlich als zwei getrennte Wesenheiten, ein Gedankenwesen und einen Denker, bzw. als den Gedankenprozess und denjenigen, der denkt. Dieses neuerwachte Selbsterkennen, das unmittelbare Anschauen und Erkennen des Denkprozesses in seiner Aktualität, habe ich die dreizehnte Kategorie genannt – eine Kategorie, die nicht nur erkennend verwendet wird, sondern die auch schafft, wodurch man erst wirklich selbst schafft und geschaffen wird. Das Ich erweist sich als aus derselben Geistsubstanz gewoben wie seine Begriffe und seine Sinneswahrnehmungen. So tritt die Vereinigung des Ich mit der Welt auf, nicht in Form einer künstlichen Konstruktion, sondern durch geistgemäße Erweiterung der Selbsterkenntnis. Gedanke und Denker vereinigen sich immer mehr und bleiben als getrennte Wesen erlebbar. In dieser Einheit erweitert sich der Denker auf die Welt der Wahrnehmungen und findet dort eine andere Form derselben Welt wieder.
Ich fand diese Vereinigung ausgedrückt im Band ‚Philosophie und Anthroposophie’ von Rudolf Steiner, und zwar an mehreren Stellen, sowohl philosophisch, als auch anthroposophisch. Philosophisch: ‚So lässt sich erkenntnistheoretisch der Satz fundamentieren, ,dass auch im reinen Denken ein Punkt erreichbar ist, in dem Realität und Subjektivität sich völlig berühren, wo der Mensch die Realität erlebt.’’ Anthroposophisch: ‚Setzt er da ein und befruchtet er sein Denken so, dass dieses Denken von da aus wiederum aus sich herauskommt, dann ergreift er die Dinge von innen. Es ist also in dem durch einen reinen Denkakt erfassten und damit zugleich geschaffenen Ich etwas vorhanden, durch das wir die Grenze durchdringen, die für alles andere zwischen Form und Materie gesetzt werden muss.’

So weit entwickelte ich das reine lebendige Denken und fand ich den moralischen Willen, den Willen, der als tätiges Gedankenwesen die innere Entwicklung führt und verfolgt. Dann aber konnte dieser Wille, dieser Zuschauer auch sich selbst noch wahrnehmen und als ‚Bewusstseinswesen’ erkennen, in dem die geistige Welt verborgen liegt, da diese sich in diesem moralischen Willen, diesen anschauend, in Erscheinung bringt. Keimhaft ist dies alles, nicht reif zur Offenbarung. Dennoch ist alles, was mit diesem ‚selbstbewussten Bewusstseinswesen’ erkannt wird, immer eine geistige Realität. Aus ihr schöpfe ich die Sicherheit meiner Erkenntnisse, auch die Schärfe meiner Worte – denn wir haben nicht mehr bis in die Ewigkeit Zeit...'