Über die Hierarchien der Engel. Die zweite Hierarchie

30-12-2022 Buchbesprechung von Lieke van der Ree

In der Weihnachtszeit von 2018 erschien das Buch ‚Über die Hierarchien der Engel. Die dritte Hierarchie‘1 in hollĂ€ndischer Sprache. Jetzt ist eine Ă€hnliche Ausgabe erschienen ĂŒber die zweite Hierarchie, mit der Wiedergabe eines im Kiental gehaltenen Seminars.2 

In der ‚Zeitschrift fĂŒr Lebendiges Denken‘ (April 2019) schrieb ich schon ĂŒber das erstgenannte Buch, ĂŒber die Engel, Erzengel und UrkrĂ€fte. Indem wir uns aktiv einlebten und ĂŒbten, was in diesem Buch ĂŒber sie geschrieben ist, konnten wir ein Ahnen oder sogar eine Sicherheit davon bekommen, dass sie im Gebiet des Denkens wirken und uns sehr nahe sind. In diesem neuen Buch beschreibt Mieke Mosmuller, dass die Engel der zweiten Hierarchie, die Exusiai, Dynamis und Kyriotetes, vor allem im Gebiet des FĂŒhlens wirken. Aber es wird klar sein, dass das nicht das alltĂ€gliche FĂŒhlen ist, so wie wir auch nicht durch ein alltĂ€gliches Denken, sondern nur durch ein reines Denken die Welt der dritten Hierarchie erreichen konnten. Aber wie finden wir nun den Mut, um uns diesen hohen Wesen zu nĂ€hern, warum ist es wichtig, um diesen Mut zu fassen, und wie tun wir das dann? 

Mieke Mosmuller:„Man kann natĂŒrlich, wenn man sich vorstellt, dass schon die Engel weit ĂŒber uns erhaben sind, und man sich dann die Erzengel vorstellt, die nochmal eine solche Stufe höher stehen als die Engel, und dann die Archai, die nochmal eine Stufe höher stehen, völlig ratlos werden. Und dann kommt man zu den Exusiai – zweite Hierarchie -, Dynamis und Kyriotetes, und diese sind so viel erhabener als die Reichweite unseres Vorstellungsvermögens, dass wir da eigentlich mit unserer irdisch gewordenen Seele gar nicht herankom- men können. Das ist also die eine Seite. Aber die andere Seite ist, dass es in uns TĂ€tigkeiten gibt, die mit den Hierarchien verwandt sind, sogar eins sind. Und wenn wir diese TĂ€tigkei- ten ausĂŒben, dann ist es so, dass wir auch wirklich mit diesen hohen Wesen eins sind. Das ist die andere Seite. Also einerseits sind sie viel zu weit weg, um den Mut zu fassen, uns ihnen nĂ€hern zu wollen, aber andererseits sind sie fortwĂ€hrend ganz eins mit uns, sind wir eins mit ihnen, weil wir in uns menschliche Möglichkeiten, menschliche TĂ€tigkeiten haben können, die mit diesen Hierarchien ganz eins sind.” 

Des Weiteren sagt sie, dass sie mit uns diese Gebiete in uns selbst aufsuchen will, da wo die Hierarchien wirklich sind. Sie geht dabei immer vom reinen Denken aus. Wobei dieses reine Denken sich nur entwickeln kann, wenn ein FĂŒhlen es trĂ€gt – demĂŒtig, geistbestĂ€ndig, mutig, geisteskrĂ€ftig. 

„Aber dann mĂŒssen wir den Unglauben ĂŒberwinden. Denn dieses Wesen des Unglaubens sitzt natĂŒrlich fortwĂ€hrend dazwischen und sagt: ‚Ja, aber das geht doch nicht, wenn ich die TĂ€tigkeit eines Wesens der höheren Hierarchie nur erlebend denke – da willst du mir doch nicht sagen, dass ich dann eins damit bin‘! Und auf der anderen Seite ist es fĂŒr manche Menschen auch wiederum so leicht, sich unmittelbar eins mit diesen Wesen zu wĂ€hnen. Also das sind natĂŒrlich die beiden Pole, zwischen die wir gestellt sind. 

Aber im reinen Denken lassen sie ab, da können sie nicht mit, diese Wesen des Unglaubens und des Hochmutes. lm reinen Denken können die beiden GegenmĂ€chte nicht mit. Wenn wir da also stark werden – das gewöhnliche, abstrakte reine Denken genĂŒgt nicht, es muss stark werden –, dann hat es auch GlaubensstĂ€rke. Dann weiß man in einem bestimmten Moment, dass man auch wirklich mit einem Wesen oder einer Reihe von Wesen auf der gleichen Ebene ist, unter ihnen ist. Also nicht als winzig kleines Wesenchen, das doch nichts vermag, sondern fĂŒr Augenblicke darf man sich dann wirklich mit den Wesen der höheren Hierarchien eins fĂŒhlen. 

Das ist das Wunderbare, das sich in der Platonischen Schule so stark zeigt. Aber nicht nur da, denn wir haben natĂŒrlich bei Thomas von Aquin den inzwischen berĂŒhmten Satz, dass, wenn der Gedanke und der Denker ein und dasselbe sind, dann dasjenige, was sich in dem Denker bildet, nĂ€mlich das Wort oder der Begriff, dann Gedanke des Geistes ist, der gedacht wird. Da wird eigentlich das gleiche gesagt, nĂ€mlich: Wenn der Denker imstande ist, wirklich mit seinen Gedanken, seinen reinen Gedanken, den Geist zu denken, dann ist er in diesem Moment wirklich eins mit diesem Geist, nicht nur mit dem eigenen Geist, sondern auch mit den Geistern, die man in dieser Weise denken kann.” 

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„Das ist der erste Schritt, es ist ein gewaltiger Schritt, den wir am ersten Tag vielleicht nicht machen können, aber jedenfalls versuchen können zu denken. Und wenn wir uns im Denken bewusst sind, dass es diesen Schritt gibt, dann wachen wir auf. Und wir werden wissen, dass in demjenigen, was wir in den kommenden, noch verbleibenden drei Tagen tun werden, nĂ€mlich uns denkend, erlebend, also fĂŒhlend, in bestimmte QualitĂ€ten der zweiten Hierarchie zu vertiefen, dass wir in dem dann auch eins mit diesen Wesen sind. Dass wir ihnen auch wirklich begegnen und nicht nur gegenĂŒberstehend begegnen, sondern wirklich eins mit ihnen sind – so, dass wir dasjenige haben, was wir in den schönsten Momenten des Lebens mit anderen Menschen haben können, wenn wir eine wirkliche Begegnung haben und dann eine BrĂŒcke zwischen einem Ich und dem anderen Ich gar nicht notwendig ist, denn man ist eins, da braucht man keine BrĂŒcke mehr. 

Wir kennen diese Momente, die als Gnade ĂŒber uns kommen, natĂŒrlich alle. Aber ich habe immer die feste Überzeugung gehabt, dass der Mensch die Möglichkeit hat, diese Momente zu schaffen, dass man also nicht nur vom Karma abhĂ€ngig ist, ob sie auch kommen im Leben, sondern dass es möglich ist – ich will nicht sagen, in jeder Begegnung, denn es ist manchmal viel zu viel Spannung da, und dann geht es nicht, aber doch in vielen Begegnungen –, dieses zu haben, dass man nicht einmal eine BrĂŒcke braucht, weil man fĂŒr Augenblicke ganz eins miteinander ist.” 

Wenn wir das hören, mĂŒssen wir uns doch eigentlich nicht mehr fragen, warum wir diesen Weg gehen sollten, warum wir eine BrĂŒcke bauen sollten, ja diese selbst ĂŒberschreiten sollten. Die meisten von uns kennen doch das Erlebnis, dass man einem anderen Menschen nicht mehr gegenĂŒber steht, aber man sich mit ihm eins fĂŒhlt. Wenn dies auch möglich ist mit einem Wesen der höheren Hierarchien, welcher Segen ist das, fĂŒr uns selbst, aber auch fĂŒr die Welt um uns herum, wohin dies ausstrahlt. 

Weil diese außergewöhnlichen Erlebnisse sich nicht ereignen, wenn wir uns in unserem alltĂ€glichen Denken ein bisschen ‚gehen lassen‘, tut Mieke Mosmuller den Aufruf, um einmal von allen Urteilen abzusehen und mit des anderen Gedanken zu leben, als ob es die eigenen Gedanken sind. Das ist eigentlich Bedingung, um sich erheben zu können zu der zweiten Hierarchie, die Hierarchie der Harmonie, des Herzens, der Mitte. Dann können wir echt erleben, was Freundschaft ist, was Harmonie zwischen Menschen ist. 

SelbstverstĂ€ndlich setzt das innerliche AktivitĂ€t voraus. In jedem Buch von Mieke Mosmuller, auch in diesem Buch, werden wir hierzu aufgerufen. Es ist immer erst einmal ein Abgrund – zwischen Menschen untereinander – zwischen dem Menschen und der Natur – zwischen der Menschenseele und der geistigen Welt. Wenn der Mensch dann die Sehnsucht hat, um die Kluft zu ĂŒberbrĂŒcken, geschieht das nicht einfach automatisch, man muss wissen, wie man das tun kann, auch wenn jeder Weg rein individuell ist. Und wissen ist nicht genug, wir mĂŒssen tun, wir mĂŒssen wollen. In Mieke Mosmullers Roman Die Weisheit ist eine Frau3 sagt Agnes, nachdem sie durch viele Krisen gegangen ist: „Auf einmal sah ich eine BrĂŒcke... wohl fern, aber nicht unerreichbar. Ich bin selber diese BrĂŒcke, Maria – sie muss noch gebaut werden. Ich fĂŒhle einen Tatendrang, wie niemals zuvor!” 

Wenn wir auch diesen Tatendrang in uns fĂŒhlen, dann stehen in diesem neu erscheinenden zweiten Teil des Dreiteilers ĂŒber die Hierarchien wieder sehr viele wunderbare Übungen fĂŒr Studium und Meditation. Umfassend wird ein Zitat behandelt aus Rudolf Steiners ‚Philosophie und Anthroposophie‘ (GA 35), worin auf philosophische Weise die Kluft zwischen Ich und Welt ĂŒberbrĂŒckt wird. Das Ich muss selbst die BrĂŒcke formen – und wenn wir mit Mieke Mosmuller mit ĂŒben, können wir Rudolf Steiner folgen bei seiner grandiosen Entdeckung des Wirklichkeitsdenkens, das dann entsteht. Wenn wir die dreigegliederte AktivitĂ€t des Ich entdecken, wo das Ich, das denkende Ich und der Gedanke eins sind, dann erklingt herrlich: 

„Hier hat der Mensch einen Punkt gefunden, wo er die RealitĂ€t erfasst. Das große Drama, in dem der erwachsene Mensch gefangen ist, nĂ€mlich dass er sich und die Welt durch einen unĂŒberbrĂŒckbaren Abgrund geschieden denken muss – ich bin hier und dort ist alles Übrige, und ich kann mit mir nicht in dieses Übrige hinein –, das ist im Ich ĂŒberbrĂŒckt. Und wenn man dann mit diesem Ich in die Wirklichkeit, in die geschaffene Wirklichkeit – die schon da ist, wo ich die Materie nicht schaffen kann –, wenn ich mit diesem Form-Materie-Ich dann da hineingehe, ĂŒberbrĂŒcke ich auch dort den Abgrund. Nun sind wir im Bereich der Wesen der zweiten Hierarchie. Es ist nicht der auf sich stehende Gedanke, auch nicht das auf sich stehende Ich, sondern jetzt sind Ich, denkendes Ich und Gedanke ein und dasselbe.” 

Das ist eine großartige Perspektive, aber wie können wir das nun stark machen? Das ĂŒben wir in einer richtig ausgefĂŒhrten Meditation. Rudolf Steiner gibt hiervon im genannten Autoreferat eine sehr genaue Beschreibung, worĂŒber Mieke Mosmuller sagt: 

„Dies ist eine Beschreibung der Meditation, die eigentlich eine fast unhaltbare Begeisterung auslösen mĂŒsste. Denn hier gibt Rudolf Steiner eine Anleitung, dass man aus dem gewöhnlichen Bewusstsein unmittelbar in ein ĂŒbersinnliches Bewusstsein hineinkommen kann. Und wenn es nur fĂŒr eine Sekunde hĂ€lt – es geht nicht darum, dass das eine halbe Stunde dauern kann, eine Sekunde ist schon bemerkbar. Da hat man schon, wenn man aufmerksam sich selbst beobachten kann, eine Erfahrung, die man sonst in seinem ganzen Leben nie haben wĂŒrde, nĂ€mlich die unmittelbare Erfahrung der Übersinnlichkeit des reinen Denkens. Es ist also ganz in unserer NĂ€he. Es ist so nahe, dass wir fortwĂ€hrend darĂŒber hinausgreifen. Wenn wir meinen, wir sollten hinter der Sinneswahrnehmung den Geist finden, suchen wir falsch, denn der Geist lebt darinnen, und wir sind es selbst, dieser Geist.” 

Und an Hand dieser exakten Anweisungen folgen dann viele Übungen, worin von jedem Engelchor der zweiten Hierarchie zwei Eigenschaften beleuchtet werden und geĂŒbt wird, um die Wirksamkeit der entsprechenden Engel gewahrwerden zu lernen. 

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Die Wesen der zweiten Hierarchie haben stets die Gabe, Geist und Seele mit dem Leiblichen zu verbinden. Großartige Meditationen gibt Mieke Mosmuller, um dem nĂ€her zu kommen, und sie ermutigt uns, um uns hierbei intensiv einzusetzen: 

„Und das ist die Meditation, dass dieselbe Lebendigkeit zum Meditieren ebenfalls hinzukommt, also nicht dieses schlaffe, uninteressierte, mĂŒhevolle Versuchen, sich zu konzentrieren, sondern eine freudige, interessierte, wache, wahrnehmungsartige DenktĂ€tigkeit.” 

Diese freudevolle, wache, wahrnehmungsartige DenkaktivitÀt wird wÀhrend eines Seminars auch durch die Eurythmie angesprochen. 

„Wenn wir dann Eurythmie anschauen, sehen wir mit den Augen, und wenn der denkende Geist in der Wahrnehmung ein wenig Bewusstsein hat, geht diese DenktĂ€tigkeit, diese anschauende DenktĂ€tigkeit mit demjenigen, was wir anschauen, mit – und dann haben wir noch eine viel großartigere Wahrnehmung dieser Ă€therischen Denkbewegung. Diese können wir auch denkend erreichen, aber da muss man das Denken wirklich sehr stark in Fluss bringen können, sodass es wirk- lich ein gestaltendes Denken wird, was dann in sich wieder eine Ähnlichkeit mit der Eurythmie hat, wie wir sie anschauen können.” 

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Raphaela KĂŒhne und Ruth Franssen, Eurythmie. 

Als Letztes will ich einige Zeilen aus einem Gedicht zitieren, das Mieke Mosmuller nennt: ‚Ein Gedicht ĂŒber die zweite Hierarchie‘. Das Gedicht ist von J.W. von Goethe, ein KĂŒnstler, der ein echter Meister war im Anschauen und im Wortmalen lebendiger Bilder. Das Gedicht heißt ‚Die Metamorphose der Pflanzen’ – alles in diesem Gedicht ist stets ‚im Werden’. 

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Das Gedicht beginnt damit, dass Goethe seine Geliebte im Geiste an die Hand nimmt, umsie auch lesen zu lehren im Buch der Natur. Goethe gibt ihr den Rat: „Werdend betrachte sie nun”. Nur wenn sie mitlebt, sich mitbewegt mit dem, was in der Natur wĂ€chst, wird sie das Geheimnis kennen lernen. So schildert er ihr, wie die Pflanze aus dem Samen keimt, wĂ€chst, blĂŒht, Frucht trĂ€gt. Die Metamorphose lehrt er sie auch in der Tierwelt zu sehen – und schließlich im Seelenleben des Menschen, wobei das Liebespaar die höhere Welt findet. 

„(...) damit in harmonischem Anschauen sich verbindet das Paar, finde die höhere Welt.” 

1 Mieke Mosmuller. Über die Hierarchien der Engel. Die dritte Hierarchie. Occident 2017.
2 Mieke Mosmuller. Über die Hierarchien der Engel. Die zweite Hierarchie. Occident 2018. Alle in diesem Artikel kursiv geschriebenen Zitate sind aus diesem Buch. 

3 Mieke Mosmuller. Die Weisheit ist eine Frau. Occident 2006. 

 

 

 

 

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